Ex-Pilot Hannsdieter Loy schreibt ein Buch
über sein Leben mit dem Starfighter
Von Helmut Burlager
Upjever/Rosenheim – Von 1962 bis 1983, mehr als 20 Jahre lang, heulten auf dem Fliegerhorst Upjever die Starfighter. Eine Flugzeug-Legende. Für die Öffentlichkeit ein Skandalvogel, der „fliegende Sarg“, der „Witwenmacher“. Für viele Kampfjetpiloten dagegen das beste, schnellste und schönste Strahlflugzeug, das sie je bewegen durften, und fast jeder dieser Flugzeugführer, sofern er für die Deutsche Luftwaffe flog, hat einen Teil dieser Zeit in Upjever verbracht, wo bei der Waffenschule 10 die in Amerika ausgebildeten Nachwuchspiloten für den Starfighter-Einsatz in Europa fit gemacht wurden.
Kampfflieger „Didi“
Hannsdieter Loy war einer von ihnen. Der bei Rosenheim in Bayern lebende Roman- und Kriminalschriftsteller, in Fliegerkreisen „Didi“ genannt, hat knapp 1500 Flugstunden auf dem Flugzeugmuster Lockheed F 104, besser bekannt als Starfighter, absolviert, anschließend flog er die F-4F Phantom und beendete seine militärische Laufbahn als Kommandeur in einem Kampfgeschwader. Dann widmete er sich dem Schreiben.
Die Erfahrungen beider Berufe – des Jetpiloten und des Schriftstellers – sind nun in sein neuestes Buch eingeflossen: „Jahre des Donners. Mein Leben mit dem Starfighter“ heißt es (Rosenheimer Verlagshaus, ISBN: 978-3-475-54088-2, 12,95 Euro) und ist Abrechnung und Liebeserklärung zugleich.
Hier und da ein wenig unentschlossen zwischen Sachbuch, Ich-Erzählung und Fliegerroman hin- und her pendelnd und manchmal ein bisschen zu selbstverliebt in das Bild der tollen Kerle in ihren fliegenden Kisten, ist es dennoch ein spannendes Buch für Leute, die sich für Fliegerei, Militär und Luftwaffengeschichte interessieren. Und lehrreich für alle, die den Starfighter-Skandal nur aus den Medien und Stammtischgesprächen kennen und gern mehr darüber wüssten.
Das Buch beginnt mit einem makabren Witz. „Wie kommt man am leichtesten zu einem Starfighter?“ – „Man kauft sich ein paar Quadratmeter Grund und wartet.“ Die Einführung des Waffensystems F-104 bei der Deutschen Luftwaffe in den 60er und 70er Jahren war ein Debakel. Von 916 Maschinen, die nach der Wiederbewaffung der Bundesrepublik in aller Eile angeschafft wurden, stürzten in den 30 Jahren ihrer Nutzung 292 ab, oft mit tödlichen Folgen für die Besatzungen. Mehr als hundert Flieger überlebten die Abstürze nicht.
Vor allem in der Anfangszeit gab es zahlreiche Unfälle und viele Todesopfer. „In einem einzigen Jahr“, schreibt Loy, „1965, dem schwärzesten, fielen 26 sechs Millionen D-Mark teure deutsche F-104G Starfighter vom Himmel, gingen in Flammen auf, zerschellten am Boden. 17 Piloten, alles junge Männer Mitte der zwanzig bis Mitte der dreißig, kamen dabei ums Leben – wie gesagt in einem einzigen Jahr und in Friedenszeiten. Es ist nicht überliefert, wie viele junge Frauen damals um ihren Mann weinten.“
Die jungen Flieger stiegen freiwillig und voller Begeisterung in ihre Maschinen. „Hatten wir Angst in jener Zeit? Ich will die Frage so beantworten: Ich habe mich in der Früh von meiner Familie jeden Tag so verabschiedet, als ob es das letzte Mal sei“, erzählt Loy. „Doch persönlich Angst hatte ich nie. Wir hatten eine eiserne Regel, an die wir uns klammerten und die uns Halt verlieh: Es sind immer die anderen, die herunterfallen, nie ich. So dachten alle.“
In seinem Buch erzählt der Ex-Pilot anschaulich die Geschichten solche Abstürze, von Kameraden, die arglos in ihre Maschinen einstiegen und entweder nicht zurückkehrten oder – im besseren Falle – mit dem Schleudersitz ausstiegen und oftmals schwer verletzt überlebten.
„Bild“ zählt mit
Da ist der Pilot, der im November 1969 in Leck in Schleswig-Holstein zum Nachtflug startet, im Gewitter- und Hagelsturm über der Elbe die Orientierung verliert, sich aus der Maschine herausschießt und dennoch ums Leben kommt, weil alle Rettungssysteme versagen. Er wurde 30 Jahre alt, Hannsdieter Loy musste die Todesnachricht überbringen.
Der Autor schildert Unfälle, die darauf zurückzuführen waren, dass beim Start der „Rakete mit Stummelflügeln“ der Nachbrenner versagte. Unfälle durch Vogelschlag. Unfälle durch Bewusstlosigkeit von Piloten, weil die Sauerstoffversorgung versagte. Unfälle durch Feuer im Cockpit. Unfälle durch Versagen des Bremsschirms. Und, und, und … „Es gab in der tödlichen Pannenserie nicht eine einzige typische Unfallursache, keinen gemeinsamen Nenner, auf den die Techniker sich hätten konzentrieren können“, schreibt Loy.
Im Zweifel: Pilotenfehler
Hatte der Flugzeugführer in einer durch technische Pannen ausgelösten Notsituation nicht dem Handbuch entsprechend reagiert, galt oftmals ein „Pilotenfehler“ als Absturzursache. Die Bild-Zeitung stürzte sich auf die Absturzserie. „Bild zählt mit“, nennt Loy das sarkastisch, über jedes neue Unglück wurde reißerisch berichtet. Der modernste Jet, den deutsches Militär je besessen hatte, wurde zum Pannenvogel, bekam seine bösen Schimpfnamen.
Dabei steckte, wie Loy und viele seiner Fliegerkameraden sagen, der Fehler nicht im Flugzeug, sondern im System. Die junge Bundesrepublik, nach dem verlorenen Krieg recht bald nach Wiederbewaffung strebend, wollte zu schnell zu viel. 916 Starfighter wurden innerhalb weniger Jahre bei Luftwaffe und Marine in Dienst gestellt. Das musste die Bundeswehr, gerade einmal sechs Jahre nach ihrer Neugründung 1955, zwangsläufig stark belasten, ja überfordern. Der Technologiesprung von den Vorgängerflugzeugen F-84 Sabre und F-86 Thunderstreak zum F-104 Starfighter sei so groß gewesen wie der von einem Borgward Isabella zum heutigen Audi 6. „Diese Mühle war nicht nur schneller als der Schall, sie war in der Startphase schneller als dein Hirn“, schreibt Loy, die Ausbildung der jungen Piloten für eine solche Maschine sei völlig unzureichend gewesen, ihnen fehlte Erfahrung und Flugpraxis. Das Flugzeug war außerdem eigentlich für den azurblauen Hmmel über der hochspannungsleitungsfreien Wüste von Arizona gebaut und nicht für eine acht Kilometer dicke Wolkendecke im Nieselregen und mit Seitenwind wie in Europa, erklärt Loy.
Fehler im System
Zu den „Fehlern im System“ gehörte auch, dass die in so großer Zahl beschafften Flugzeuge in den Anfangsjahren allesamt im Freien geparkt wurden. Feuchtigkeit kroch in die Maschinen und Instrumente, legte Armaturen lahm. Gab es Unglücke, so überlebten die Besatzungen in den ersten Jahren häufig allein deshalb nicht, weil ein völlig untauglicher Schleudersitz eingebaut worden war. Loy schildert den Fall eines Piloten, dem es gelingt, sich aus der abstürzenden Maschine herauszukatapultieren, und der um ein Haar vom eigenen Schleuersitz erschlagen worden wäre.
Auf dem Höhepunkt der Starfighter-Krise wird 1966 der legendäre General Johannes Steinhoff zum Inspekteur ernannt. Er sorgt für bessere Ausbildung und mehr Flugstunden für die Besatzungen, lässt in großer Zahl Shelter (Garagen) für die Maschinen bauen. Der Starfighter wird nun mit dem bewährten Martin-Baker-Schleudersitz ausgerüstet, der sicheres Herausschießen aus der Kabine auch vom Boden oder aus geringster Flughöhe ermöglicht. Die Zahl der Abstürze sinkt deutlich, ebenso die Zahl der zu beklagenden Todesopfer. Der Starfighter bleibt bis 1990 das Rückgrat der Deutschen Luftwaffe.
Fliegerleben
Das Buch hat etliche Bezüge zu Upjever, wo die Ausbildung der jungen Piloten stattfand, von wo aus aber auch zum Beispiel der erste Atlantik-Überflug einer Rotte von Starfightern nach Amerika startete, von der der Autor berichtet. In die Rahmenhandlung seines Romans eingebettet, schildert Hannsdieter Loy den Pilotenalltag, erzählt von Kameradschaft, Mutproben, Ängsten, von Kaffeetrinken, Happy Hours an der Bar, von persönlichen Schicksalen, vom Zusammenhalt der alten Haudegen bis in die heutige Zeit. Sein Leben mit dem Starfighter eben oder: Jahre des Donners.
Bilder: Oben Schriftsteller und Ex-Kampfpilot Hannsdieter Loy. Mitte: Ein “Patch”, Abzeichen an der Fliegerkluft der Starfighter-Piloten. Unten: Pilot “Didi” Loy auf einem Flugplatz in der Türkei mit einem türkischen Flugzeugmechaniker. Bilder: Archiv Hannsdieter Loy
Natürlich komme ich durch! So war das damals – selbstverständlich, selbstbewußt, Macher-Mentalität, in der Mehrzahl erfolgreich. Heute vielleicht nicht mehr für alle nachvollziehbar, trotzdem wahr. J .Meise, Hptm, zuletzt AG 51 Immelmann
Ein unglaubliches spannendes Buch, das mich tief bewegt hat. Für sehr sensible Naturen ist es allerdings weniger geeignet.