Oldenburg – Es war eine kleine Revolution im oldenburgischen Handwerk, und es dauerte ein paar Monate, bis es alle begriffen hatten. Anfang Oktober machte das Jeversche Wochenblatt deshalb auf einer ganzen Seite noch einmal darauf aufmerksam: „Seit dem 1. Januar 1912 finden im Bezirk der Handwerkskammer zu Oldenburg die für das Lehrwesenden geltenden Vorschriften auch auf weibliche Personen Anwendung.“
Etwas bürokratisch verquast wurde damit ausgedrückt, dass in der handwerklichen Ausbildung von nun an Gleichberechtigung herrschte. „Der Frage, ob weibliche Personen, welche ein Handwerk betreiben, den männlichen Handwerkern gleich zu achten seien und demnach die gesetzlichen Bestimmungen, welche im allgemeinen für Handwerker gelten, auf sie Anwendung zu finden haben, sind die berufenen gesetzliche Interessenvertretungen des Handwerks, die Handwerkskammer, nach und nach näher getreten“, heißt es einleitend, was schon in der Formulierung deutlich macht, dass es für die alten Handwerksmeister offenbar gewöhnungsbedürftig war, dass sie es jetzt mit Frauen zu tun bekamen.
Das deutsche Handwerk hatte ein paar Jahre lang darüber diskutiert und 1909 in Königsberg erstmals von „Gleichen Rechten – gleichen Pflichten“ gesprochen. Das Oldenburger Handwerk nahm den Diskussionsfaden auf und beschloss, eine zweijährige Übergangsfrist einzuräumen, bis 1912 die Gleichberechtigung im Handwerk formell Wirklichkeit wurde. Faktisch sah es vermutlich noch viele Jahre und Jahrzehnte anders aus.
Die Vollversammlung der Handwerkskammer beschloss jedenfalls, „die Vorschriften zur Regelung des Lehrlingswesens auf weibliche Lehrlinge auszudehnen“, und das Großherzoglich Oldenburgische Ministerium des Innern bestätigte, dass „an sich diese Vorschriften selbstverständlich auf weibliche Personen, soweit sie als Lehrlinge in Handwerksbetrieben beschäftigt sind, ohne weiteres Anwendung finden“.
Nun führt das Wochenblatt im Detail aus, wie sich solche Lehrverträge gestalten und was von den Handwerksbetrieben erwartet wird – gegenüber Jungen wie gegenüber Mädchen in der Ausbildung. Und da lag wohl manches im Argen, wie die besonderen Hinweise zeigen, die die Handwerkskammer an die Handwerksmeister gab. Man sah nämlich manchen Lehrling wohl als billige Arbeitskraft an, statt ihm eine ordentliche Ausbildung angedeihen zu lassen. „Um Irrtümern vorzubeugen“, heißt es da etwa, „sei ausdrücklich betont, daß auch mit solchen weiblichen Personen, welche z.B. für den Hausgebrauch etwas Schneidern lernen wollen, die Dauer der Lehrzeit im Lehrvertrag oder in der Lehranzeige festgesetzt werden muß.“ Man könne ja, heißt es einschränkend, den Vertrag jederzeit wieder auflösen.
Der Lehrling, ob männlich oder weiblich, sei „der väterlichen Zucht des Lehrherrn unterworfen“ und ihm „zur Folgsamkeit und Treue, zu Fleiß und anständigem Betragen verpflichtet.“ Zu häuslichen Dienstleistungen dürften aber auch solche Lehrlinge nicht herangezogen werden, die im Haus des Meisters wohnten. „Uebermäßige und unanständige Züchtigung sowie jede Behandlung, die die Gesundheit des Lehrlings gefährdet“, sei dem Lehrherrn untersagt. Eine Selbstverständlichkeit? Bestimmt nicht. So wenig, wie es selbstverständlich gewesen war, Frauen auszubilden. (hbu / 8.10.2012)