Jeveranerin verfasst Sachbuch über fundamentalistische Christen in Deutschland
Die „Evangelikalen“ gewinnen in Kirche und Gesellschaft an Einfluss. Werden damit auch ihre intoleranten Einstellungen salonfähig?
Von Helmut Burlager
Jever/Hamburg – Es eine bizarre Welt, in die die 32-jährige aus Jever stammende Oda Lambrecht und ihr Kollege Christian Baars da eingetaucht sind. Eine Welt, in der die Menschen glauben, dass Gott sie persönlich auserwählt, angesprochen und durch seinen Sohn Jesus Christus erlöst hat.
Doch nicht nur das. Sie glauben, dass der Teufel sie ständig in Versuchung bringt, dass Männer, Frauen und Kinder von Dämonen besessen sein können, dass Gebet und Austreibung von Krankheiten heilt, dass Sex vor der Ehe Sünde und Homosexualität eine Krankheit ist, dass Anders- und Ungläubige in die Hölle kommen.
Sie glauben, dass die Welt in genau sechs Tagen erschaffen wurde und die Natur nicht das Ergebnis der Evolution ist. Sie glauben, dass die Endzeit begonnen hat und Jesus Christus als Erlöser demnächst leibhaftig wieder auf die Erde kommen wird. Und dass sie deshalb die ganze Menschheit zum einzig rechten Glauben, zum Christentum, missionieren müssen.
Es ist nicht die Welt des Mittelalters, in die Lambrecht und Baars da eingetaucht sind, und was sie in ihrem 246 Seiten dicken Taschenbuch zusammengetragen haben, hat auch nichts mit Fantasy zu tun. Es ist die Welt von heute – die Realität in Tausenden von christlichen Gemeinden und Gruppen, die sich selbst als „bibeltreu“, „entschieden“, „erweckt“, „evangelikal“ oder schlicht evangelisch bezeichnen und für die Lambrecht und Baars das Wort „fundamentalistisch“ benutzen. Ihre Anhängerschaft zählt nach Hunderttausenden, Tendenz steigend. In ihrem Sachbuch „Mission Gottesreich – Fundamentalistische Christen in Deutschland“ befassen sich die beiden Autoren mit einer Parallelwelt, über die sie nicht nur mit Akribie unzählige Fakten zusammengetragen haben, sondern die sie bei vielen Besuchen von Gottesdiensten und Missionsveranstaltungen auch hautnah erlebten.
„Sie suchen! Ich sehe Ihnen das an. Ich bin mir sicher, Sie suchen! Immer wieder hörten wir in Gemeinden oder während Missionsveranstaltungen diese oder ähnliche Sätze“, schildert Oda Lambrecht in ihrem Buch eigenes Erleben. Es ist die Erfahrung des Missioniertwerdens, das labile, dafür anfällige Persönlichkeiten leicht in den Sog fundamentalistischer Religionsgemeinschaften geraten lässt. Freundlich seien sie angesprochen worden, oft mitleidig, vor allem dann, wenn klar wurde, dass sie den bibeltreuen Glauben ihrer Gesprächspartner nicht teilen, schildern Lambrecht und Baars.
Das tun sie tatsächlich nicht, aber sie verfassten auch kein Pamphlet gegen die Evangelikalen, sondern gingen mit journalistischer Distanz an die Recherche heran und stellen die Ergebnisse sachlich und emotionsfrei vor. Erst im Schlussteil ihres Buches gestatten die beiden Autoren sich eine klare Meinungsäußerung: Religionsfreiheit sollte dort enden, wo andere in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Was den Autoren Sorge bereitet, ist dies: Mit dem Erstarken der Evangelikalen, das sich in Großveranstaltungen wie jüngst dem „Christival“ in Bremen, in ihrem Vordringen in Politik und Medien, in der Gründung eigener Schulen und Kindergärten, in ganzen Wirtschaftskonzernen manifestiert, werden auch deren Ansichten salonfähig: Die Intoleranz gegenüber Homosexuellen, die strikte Ablehnung von Abtreibung, der Widerstand gegen Stammzellenforschung, die zunehmende Verbreitung des pseudowissenschaftlichen Ansatzes des „Kreationismus“, um Zweifel an der darwinschen Evolutionstheorie zu wecken und den Schöpfungsglauben zu retten. Evangelikale nehmen mehr Einfluss, als wir ahnen und als einer liberalen, offenen Gesellschaft gut tut.
(Der Beitrag erschien zuerst im März 2009 im Jeverschen Wochenblatt)
Infos:
Oda Lambrecht (32), die in Jever-Moorwarfen aufwuchs, studierte nach dem Abitur am Mariengymnasium Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Hamburg, danach volontierte sie beim Südwest-Rundfunk. Sie ist Redakteurin bei ARD aktuell in Hamburg. Christian Baars (32) wuchs in Dortmund auf, hat in Hamburg und Dakar Romanistik und Politikwissenschaft studiert und beim Norddeutschen Rundfunk volontiert, wo er heute als Referent tätig ist. Das Buch erschien im Ch. Links Verlag, Berlin, und kostet 16,90 Euro. ISBN 978-3-86153-512-6
Gut finde ich die Meinungsäußerung gegen Schluss des Buchs; dass Religionsfreiheit dort enden sollte, wo andere in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Intoleranz wird hoffentlich niemals salonfähig!
Beste Grüße
Claus