Kaschubien

Tief im Osten

Das Leben der Kaschuben wird im Heimatmuseum Klucken lebendig

Von Brigitte Meiners

Kaschubien: In meiner Erinnerung taucht der alte Englischlehrer auf. „Ich bin Kaschube“, hat er stets stolz erklärt und so ist er in meinem Gedächtnis 18102010162verknüpft mit Anna Bronski, der kaschubischen Großmutter, die Günter Grass für den „Blechtrommler“ Oskar Matzerath erfunden hat. Die Kaschuben – den Deutschen zu polnisch und den Polen zu deutsch. Ein Volk slawischer Abstammung, das nie einen eigenen Nationalstaat hatte, ein Volk zwischen den Stühlen, zwischen Polen und Deutschen, ein Volk tief im Osten im nördlichsten Zipfel Polens zwischen Danzig und Stolp.

Ist eine Fahrt durch die heutige Kaschubei mit herrlichen, kilometerlangen Ostseestränden und einem dünn besiedelten, hügeligen Hinterland, mit unzähligen kleinen und  großen Seen und „karierten Dörfern“ im Fachwerkstil an sich schon eine Reise in die Vergangenheit, so setzt der Besuch des Slovinzischen Freilichtmuseums Klucken dem Eintauchen ins Gestern die Krone auf.

Bei  einem Spaziergang über das rund 10 Hektar große Museumsgelände, zu dem bei der Eröffnung 1963 drei Bauernhöfe gehörten und das heute mehr als 20 Gebäude mit Scheunen, Viehställen, Backhäusern und Fischerhütten umfasst, erfährt der Besucher viel über das Leben der 19102010218Kaschuben, die zum Stamm der slawischen Slovinzen gehören. Sie lebten vom Fischfang im nahegelegenen Lebasee, vom Getreideanbau und auch von der Torfgewinnung.

Beim Rundgang durchs „lebendige“ Freilichtmuseum, das auf beiden Seiten einer Landstraße liegt, die auch heute durchaus nicht nur von Autos, sondern auch von Pferdefuhrwerken befahren wird, atmet alles Vergangenheit. Dabei macht der Besucher einen Streifzug durch die Geschichte des ausgehenden 19. bis hin zu den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts. Karg war das Leben der Kaschuben, mit dem Fischfang und der Torfstecherei waren ganz offenbar keine Reichtümer zu verdienen. Das Leben in der Fischerkate war alles andere als komfortabel.

Die Entwicklung der Landwirtschaft und technischer Fortschritt werden beim weiteren Rundgang durch Gehöfte, Ställe und Scheunen deutlich, und im Anwesen der kaschubischen Familie Keitschick, das Wohn- und Lebenskultur der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg widerspiegelt, treffen dann zwei Welten aufeinander. 19102010216 In der Küche stehen die heute auf vielen hiesigen Flohmärkten zu findenden Porzellanbehälter für Grundnahrungsmittel fein säuberlich aufgereiht nebeneinander. In schwungvoller Schrift steht „Gries“ oder „Zucker“ drauf, während in der guten Stube ein russisch anmutender Samowar einen Ehrenplatz einnimmt. Ein Beweis für die laufenden Neu- und Umsiedlungsbestrebungen nach 45. Neuansiedler aus den verschiedensten Provinzen des vorkriegszeitlichen Polens, hauptsächlich aus der Region Wilna, ließen sich nicht nur rund um Klucken nieder und brachten ihre Kultur mit. Die Slovinzen dagegen, die von den polnischen Behörden offiziell als Deutsche geführt wurden, wurden ausgesiedelt. Zwischen 1945 und 1948 verließen massenweise Kaschuben den Ort Klucken. Diejenigen, die zunächst blieben, gingen später. Im Informationsblatt des Freilichtmuseums heißt es dazu: „Die Konflikte zwischen der aus dem Osten kommenden polnischen Bevölkerung und den schon sehr eingedeutschen Slovinzen führten jedoch dazu, dass sie nicht mehr in Polen bleiben wollten. Ungeachtet der Versuche, beide Bevölkerungsgruppen zu integrieren, haben im Laufe 19102010213der Zeit immer mehr Slovinzen die Genehmigung zur Ausreise nach Deutschland verlangt.“ Viele gingen im Rahmen der sogenannten Familienzusammenführung zwischen 1956 und 1962, der Rest bis auf ganz wenige Ausnahmen in den siebziger Jahren.

Im Freilichtmuseum Klucken, dem heutigen Kluki, bleiben die Kaschuben jedoch lebendig, und die  Geschichte der Slovinzen rund um Klucken gibt Oskars Großmutter Anna Bronski in der Blechtrommel Recht. Kaschuben müssen immer „Koppchen hinhalten, damit de anderen drauftäppern können, weil unserains nich richtich polnisch is und nich richtich deitsch jenug, und wenn man Kaschub is, das raicht weder de Deitschen noch de Pollacken“.

 

Impressionen aus Kaschubien:

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2 Kommentare zu „Kaschubien

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