Es gibt keine ehemaligen jüdischen Friedhöfe

Bodo Gideon Riethmüller über Bestattungsbräuche

Von Christoph Hinz

Eingangsschild des jüdischen Friedhofs von Jever, einer von mehr als 200 pflegeverwaisten jüdischen Begräbnisstätten in Niedersachsen. Aus Sicherheitsgründen ist er zurzeit nicht öffentlich zugäglich.

Jever – Jüdische Friedhöfe unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von denen der Christen. Es gelten auf ihnen auch andere Regeln. So dürfen sie von Männern und Jungen ab dem 13. Lebensjahr nur mit einer Kopfbedeckung betreten werden, einer Kippa oder einem Hut. Das berichtete Beauftragten des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden von Niedersachsen, Bodo Gideon Riethmüller, in einem Vortrag vor dem Lions Club Jever.

Riethmüller gab den Mitgliedern einen Überblick zu den Rahmenbedingungen für 210 pflegeverwaiste Friedhöfe in Niedersachsen – aber er informierte sie auch über die geschichtliche Entwicklung des jüdischen Bestattungswesens.

Die Kippa, eine Kappe, ist unterschiedlich groß, sie kann gehäkelt sein oder aus schwarzem Stoff gefertigt. Sie gilt als Zeichen von Frömmigkeit. Am Sabbat, dem jüdischen Ruhetag von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit am folgenden Samstagabend, sowie an Feiertagen soll der jüdische Friedhof nicht betreten werden. Exhumierungen gibt es nur, wenn ein Toter nach Israel überführt werden soll – auch aus diesem Grund gibt es laut Riethmüller keine „ehemaligen jüdischen Friedhöfe“.

Kapellen und Andachtshallen fehlen, und „um die Gleichheit aller Menschen im Tod zu symbolisieren, verbietet das Religionsgesetz die Ausschmückung der Gräber mit Blumen“. Vielmehr legen die Besucher den Angehörigen einen kleinen Stein auf das Grab, nach Auskunft des Referenten ein Brauch, der seine Wurzeln in den nomadischen Anfängen Israels“ hat, als die Toten mit Steinen bedeckt wurden, um sie vor wilden Tieren zu schützen.

Särge aus Kiefernholz ohne Eisenteile

„Wenn eben möglich, sind die Gräber so angeordnet, dass die Toten mit den Füßen in Richtung Jerusalem liegen, also in unserer Gegend nach Osten oder Südosten, die Grabsteine stehen am Kopfende“, berichtete der Referent. Die Särge bestehen seinen Ausführungen zufolge aus unbearbeitetem Kiefernholz ohne Nägel oder andere Eisenteile, es gibt lediglich Holzdübel und keine Griffe, nur Seile. Die Totenfeier findet im Trauerhaus, in einer Leichenhalle oder am Grab statt. Den Toten das Geleit zu geben, ist eine „mitzwa“, eine religiöse Pflicht. Der Rabbiner hält üblicherweise die Leichenrede, dies kann aber auch der Vorbeter oder eine Person aus der Gemeinde sein. Dann wird das „male el rachamin“ gebetet, „Gott voller Barmherzigkeit“.

Friedhöfe an Orten, die niemand sonst brauchte

Jahrhunderte lang sei es den Juden schwer gemacht worden, überhaupt Begräbnisplätze zu erwerben. „Häufig erhielten sie ein Stück Land angeboten, das weit von dem Ort entfernt lag und anderweitig nicht genutzt werden konnte, zum Beispiel sumpfiges Gelände oder an Hängen, an denen keine Landwirtschaft betrieben werden konnte.“ Auch Orte, die für Christen tabu waren, so in der Nähe des Galgens, seien für die jüdischen Friedhöfe in Frage gekommen. Die Amtskirche habe es zudem nicht gern gesehen, wenn sich in unmittelbarer Nähe ein solcher Friedhof befunden habe. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts habe sich das geändert.

Die Heilige Genossenschaft in den Gemeinden 

Bodo Gideon Riethmüller ging in seinem Vortrag auch darauf ein, von wem eine Bestattung traditionell organisiert wird. „Die mit der Bestattung verbundenen Aufgaben übernimmt in der Gemeinde die ,Chewra Kadischa’ – die ,Heilige Genossenschaft’“, zu deren Aufgaben Krankenbesuche, die Betreuung der Sterbenden, die Totenwache, das Waschen und Einkleiden des Toten, die unentgeltliche Bestattung Armer und die Vorbereitung des Trauermahls gehören. Auch die landschaftsgärtnerische Pflege der Friedhöfe gehört dazu.

Mehr lesen: Hilfe für verwaisten jüdischen Friedhof  Zum Artikel

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