König Willem-Alexander und Jever

Kultur Matthias Bollmeyer deckt Geschichte einer Rarität auf 

Italienisches Werk von 1595 steht in der Bibliothek des Mariengymasiums

Jever – Um etliche Ecken sind wir ja alle miteinander verwandt, und so verwundert es nicht wirklich, wenn der jeversche Historiker Dr. des. Matthias Bollmeyer behauptet, der neue niederländische König Willem-Alexander von Oranien-Nassau habe einen Bezug nach Jever

Bollmeyer, zu dessen Forschungsschwerpunkten neben Gelegenheitsschriften noch Humanismusforschung, historisches Buchwesen, biographisch-bibliographische Studien und Gelehrtenkultur gehören, konnte einen venezianischen Druck aus dem Jahr 1594 identifizieren und einordnen. Seine Erkenntnisse veröffentlichte er kürzlich im renommierten „Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte“ (Band 20, Jahrgang 2011/2012).

Matthias Bollmeyer mit der Rarität aus der Bibliothek des Mariengymnasiums Jever. Foto (c): Helmut Burlager
Matthias Bollmeyer mit der Rarität aus der Bibliothek des Mariengymnasiums Jever. Foto (c): Helmut Burlager

Der Druck, um den es geht, befindet sich mindestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Mariengymnasium in Jever. Matthias Bollmeyer wurde auf das Werk aufmerksam, als es beim Tag der offenen Tür der Bibliothek am 4. November 2006 unter den Inkunabeln und Frühdrucken präsentiert wurde. Zwischen den knapp 40 Exponaten entdeckte Bollmeyer das Büchlein mit unterhaltsamen Geschichten des florentinischen Priesters und Dichters Arlotto Mainardi. Die Kataloge der Bibliothek datierten das Buch auf das Jahr 1500. Doch Matthias Bollmeyer fiel auf, dass einige Details dagegen sprechen. Der Schriftspiegel und die Schrifttype des Drucks wiesen deutlich auf einen späteren Entstehungszeitraum hin, was sich bei näherer Untersuchung bestätigte. Datiert wird das Werk mittlerweile auf das Jahr 1595. In nahezu kriminalistischer Kleinarbeit belegte Dr. des. Bollmeyer die Herkunft und die Druckgeschichte des besonderen Buches und somit auch die Herkunft des jeverschen Exemplars aus der Ahnenreihe des holländischen Königshauses.

Erste, namentlich eingetragener Besitzer des Büchleins, das eine wertvolle Rarität der Bibliothek darstellt, war Georg von Nismitz (1575-1654), zu dessen Nachkommen neben dem niederländischen König auch dessen Vater Claus von Amsberg und die Journalistin Marion Gräfin Dönhoff gehören. Er entstammte dem lutherischen thüringischen Landadel aus dem Unstrut-Tal und studierte in Helmstedt und Jena. Er wirkte ab dem Jahr 1600 als Hofmeister am kurfürstlich-sächsischen Hof in Dresden, erzog den späteren Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen (1585-1656) und suchte im Zuge des Dreißigjährigen Kriegs Zuflucht in größeren Städten Sachsens, in denen er als Jurist und Beamter wirkte. In Leipzig förderte er beispielsweise die bekannte Kantorei der Thomaskirche. Im Jahr 1630 trug er sich in das Gesellschaftsbuch der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ des Fürsten Ludwig I. von Anhalt-Köthen ein. Seine Unterschrift im Gesellschaftsbuch ist mit dem Eintrag auf dem Titelblatt des Buchs im Mariengymnasium identisch.

Vermutlich im Frühling 1595 erwarb Georg von Nismitz in Venedig das erwähnte Buch auf der Rückreise von seiner ersten Kavaliersreise, die ihn zuvor durch Italien geführt hatte. Druckge-schichtlich ist das Buch in Jever insofern interessant, weil im Erscheinungsvermerk auf der Titelseite offensichtlich bewusst die letzten Zahlzeichen gelöscht wurden und das tatsächliche Erscheinungsjahr somit nicht sofort erkennbar ist. Da vergleichbare Exemplare nicht in der italienischen nationalbibliographischen Datenbank für das 16. Jahrhundert (EDIT 16) verzeichnet sind, konnte Bollmeyer ein vergleichbares Exemplar erst in der National Library of Scotland in Edinburgh nachweisen. In italienischen Bibliotheken fand er nur sehr ähnliche Drucke aus den Jahren 1594 und 1595 auf. Gerade aus diesen Merkmalen ließ sich die Druckgeschichte des Buchs des Georg von Nismitz rekonstruieren. Bollmeyer vermutet, dass dessen Buch sowohl Lagen aus dem Druck von 1594 als auch aus dem von 1595 enthält und dass diese Vermischung durch die Unkenntlichmachung des Erscheinungsjahres verschleiert werden sollte. Diese Vermutung passt sich zudem genau in den historischen Zusammenhang ein, dass Georg von Nismitz wie erwähnt im Frühling 1595 in Venedig war. Als Beleg für seine These zieht Bollmeyer den sogenannten bibliographischen Fingerprint heran, der zur eindeutigen Identifizierung alter Drucke dient und in diesem Fall den Mischdruck anzeigt. Außerdem ist das Phänomen der Raubdrucke in der Frühen Neuzeit bekannt.

Das Büchlein selbst enthält die Facetie des florentinischen Priesters und Dichters Arlotto Mainardi (1396-1484), eine Sammlung unterhaltsamer und erbaulicher Geschichten. Der Text ist aus den genannten und weiteren Ausgaben verschiedentlich in Bibliotheken belegt, so dass der besondere Wert des jeverschen Buchs in der jetzt rekonstruierten Druckgeschichte und der Aufklärung des Besitzvermerks begründet ist. Unklar ist noch, wie das Buch in die Bibliothek des Mariengymnasiums gelangt ist. Verbindungen über die Zerbster Herrschaft oder auch die „Fruchtbringende Gesellschaft“ sind vorstellbar, aber nicht beweisbar.

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