Levy und die vergebliche Suche nach Heimat

Eckhard Harjes hat sein neues Buch über den letzten Juden von Jever veröffentlicht

Von Helmut Burlager

„Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe solange, bis man ihr das anmerkt.“ Nein, das ist keiner von den vielen Sprüchen, die Fritz Levy auf kleine Zettel geschrieben und in der ganzen Stadt verteilt hat. Aber der Satz hätte von ihm stammen können, wie so viele, die er mit seiner Schreibmaschine verfasste, die nun im Mittelpunkt eines neuen Buches steht.

„Fritz Typewriter oder: Eine Reise mit Fritz Levy um die Welt und andere Geschichten von Heimatsuchenden“ heißt das Werk. Eckhard Harjes ist der Autor, und er bringt in seinem zweiten Buch über den letzten Juden von Jever nicht nur neue Facetten des 81 Jahre währenden Lebens von Fritz Levy ans Licht. Es ist auch eine intensive Erzählung über den Verlust von Heimat.

Cover des neuen Buchs von Eckhard Harjes über Fritz Levy.

„Die Behauptung, ein Idiot zu sein, habe ich mit dem Argument zu bestätigen, dass ich nach Deutschland zurückgekehrt bin.“  Dieser Spruch stammt tatsächlich von Fritz Levy, der seine Heimat   zurückerobern wollte. Er hat es nicht geschafft, aber er blieb in Jever, jahrzehntelang ein Stachel im Fleisch der Kleinstadt. Wie der Komantsche aus dem Film von Herbert Achternbusch, von dem das im Buch wiedergegebene Eingangszitat stammt, war auch er wild entschlossen, so lange zu bleiben, bis man der Stadt anmerkt, wie sie ihn und die anderen Juden von Jever kaputt gemacht hat.

Die Geschichte, die Eckhard Harjes erzählt, beginnt damit, dass vor wenigen Jahren die alte Schreibmaschine von Fritz Levy, eine „Wanderer Continental“, wieder aufgetaucht ist. Sie weckte bei Harjes nicht nur Erinnerungen an seinen alten Freund, sondern auch die Fantasie. Der Autor begab sich gedanklich selbst auf die lange Reise, die Fritz Levy 1939 in Hamburg antrat und von der er erst 1950 zurückkehrte. Er erzählt von der beschwerlichen Fahrt auf verschiedenen Dampfern bis nach Shanghai, vom harten Alltag der Flüchtlinge dort. Davon, wie der Lebenskünstler Levy sich durchschlägt, schreibt, liebt und leidet, von seiner Sehnsucht, wieder nach Hause zu kommen, was ihm nach dem Krieg über eine Zwischenstation in San Francisco schließlich gelingt. Als er wieder da ist, findet er nicht Heimat, sondern Ablehnung.

Die meisten Menschen, die Levy noch gekannt haben, erinnern sich an den renitenten, oft verwirrt wirkenden Alten. Eckhard Harjes macht in seiner Fiktion den jungen Fritz Levy sichtbar, eine starke Persönlichkeit voller Tatendrang, ein Frauentyp, immer den Schalk im Nacken. Und den sensiblen Levy, der in der Fremde nicht glücklich wird, dem seine Familie fehlt, der charmant und romantisch sein kann und für seine Freunde da ist. Harjes hat sich das nicht nur ausgedacht. Er hat als Jugendlicher viel Zeit mit Levy verbracht und bei der Recherche den kompletten schriftlichen Nachlass Levys, einige tausend Dokumente, ausgewertet.

In Nebensträngen erzählt Harjes von seiner eigenen Jugend in Jever und seinem zwiespältigen Verhältnis zur Heimatstadt, die sich so schwer damit tat anzuerkennen, was während der NS-Zeit passiert ist und was sie den Juden angetan hat. Er geht zurück in die Zeit, als die Jugendlichen in der Stadt rebellierten, um ein Jugendzentrum kämpften, die Nazigeschichte aufarbeiteten und sich gegen das Verdrängen und Vergessen wehrten. Und dann geht es noch um die alte Schule, das Mariengymnasium, um seinen Lehrer Hartmut Peters, dem Harjes im Buch ebenso ein Pseudonym verpasst wie vielen anderen Akteuren, die man leicht wiedererkennt. Und Musik spielt eine große Rolle, denn sie war für die Jugendlichen das wirkliche Vehikel, sich vom ganzen Mief und Muff der Nachkriegszeit zu befreien. Das lesenswerte Buch endet in einer Träumerei des Autors, in der Fritz Levy mit all seinen Wegbegleitern und seiner Familie nach Jever zurückkehrt und sich hier wohlfühlt. Zurück in der Heimat, die es für Levy in Wirklichkeit nie wieder gegeben hat.

Eckhard Harjes: Fritz Typewriter oder: Eine Reise mit Fritz Levy um die Welt und andere Geschichten von Heimatsuchenden. Taschenbuch, 248 Seiten, Fuego Verlag, 14,90 Euro, ISBN 978-3-86287-963-2

Dieser Beitrag erschien zuerst im Jeverschen Wochenblatt.