Eine weltberühmte Klosterfrau aus Jever
Die Erfinderin des „Melissengeists“, wuchs in Friesland auf
Erstellt am 1. Februar 2011 von Helmut Burlager
Jever. 94 Prozent aller Deutschen kennen „Klosterfrau Melissengeist“ und das klassische Emblem mit den drei Nonnen im gotischen Spitzbogen, mit dem das Kölner Unternehmen Klosterfrau für sein Heilmittel wirbt.
Aber vermutlich weiß selbst in Jever nur ein kleiner Bruchteil der Menschen, dass die Erfinderin des Präparats aus der Marienstadt stammt. Am 5. Mai 1775 wurde die Carmeliter-Ordensschwester und späteren Unternehmensgründerin Maria Clementine Martin geboren, und zwar unter dem bürgerlichen Namen Wilhelmine Martin in Brüssel. Doch ist sie wohl in Jever aufgewachsen. Denn ihr Vater, der tirolisch königlich-kaiserliche Offizier Johann Heinrich de Martin, wurde nach ihrer Geburt im Auftrag des Zerbster Fürsten Friedrich-August vom Brüsseler Kürassierregiment zum Schloss nach Jever versetzt und wurde Schlosshauptmann oder „Capitän“ und damit Oberaufseher für alle Gebäude, Möbel und Hausrat der Zerbster Hofhaltung in Jever. Seine Gemahlin Christine geb. von Mergenthal brachte in Jever im Jahre 1783 dem Kirchenbuch zufolge eine ihrer drei Töchter zur Welt.
Die in Brüssel geborene Wilhelmine, die später Maria Clementine heißen sollte, zog es aber in die Welt hinaus. Im Alter von 17 Jahren trat sie 1792 Kloster St. Anna in Coesfeld (Westfalen) ein und ging nach dessen Auflösung in das Annunciatenkloster in Glane bei Gronau. In diesen zehn Jahren als Ordensschwester in der Krankenpflege setzte sie sich intensiv mit der Pflanzenheilkunde auseinander. Alte Rezepturen wurden verbessert und neue Arzneien entwickelt. Im Auftrag des Ortens reiste Maria Clementine Martin zu benachbarten Klöstern, wo ihre heilkundliche Hilfe gebraucht wurde. So kam sie auch nach Brüssel, ins Kloster der Carmeliterinnen. Fasziniert von den Möglichkeiten der Heilmittel aus der Natur, studierte sie diese und arbeitete in der Klosterapotheke. Hier entstand schließlich nach ihrer Rezeptur das „ächte Carmeliter- oder Melissenwasser“, der spätere „Klosterfrau Melissengeist“.
Während der napoleonischen Kriege wurden die Klöster aufgelöst, und auch Maria Clementine Martin musste in das weltliche Leben zurück. Sie gehörte zu den unerschrockenen Krankenpflegerinnen, die 1815 in der Schlacht bei Waterloo mühsam im aufgeweichten Lehmboden von Mann zu Mann eilten und verwundete Soldaten beider Seiten pflegten. Hier kam ihr das enorme Wissen über die Wirkung der Pflanzen zugute. Für ihren tapferen Einsatz erhielt sie neben der allerhöchsten Anerkennung seiner Majestät des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. eine jährliche Leibrente von 160 Goldtalern.
Mit diesem Geld konnte sie sich einen Traum erfüllen: Schon 50 Jahre alt, zog Maria Clementine Martin 1825 nach Köln, um den 86-jährigen Domvikar Gumpertz zu pflegen. Wie an verschiedenen Orten zuvor fand sie auch hier entsprechend ihrer klösterlichen Erziehung und christlichen Pflichtauffassung ein reiches Betätigungsfeld in Krankenpflege und Betreuung der Armen. Doch es kam etwas hinzu: Mit dem Geld aus ihrer Leibrente gründete sie am Fuße des Kölner Domes im Jahre 1826 ein kleines Unternehmen und begann mit der Produktion ihres „echten Klosterfrau Melissengeist“ sowie anderer Arzneien und Duftwässer („Kölnisch Wasser“) nach eigener Rezeptur. Im Handelsregister der Stadt Köln ließ sie ihren Herstellungsbetrieb unter dem Namen „Maria Clementine Martin Klosterfrau“ eintragen. Ein überliefertes Zitat der ehemaligen Ordensschwester lautet: „Der Himmel segne meine Unternehmung.“
Das tat er denn auch, und der Staat half ihr ebenfalls. Königliche und fürstliche Höfe ernannten die tüchtige Unternehmerin zur Hoflieferantin. Im November 1829 bat Maria Clementine Martin den preußischen König, der sie ja bereits hoch geehrt hatte, um das Privileg, das preußische Wappen auf den Etiketten ihrer Waren führen zu dürfen, was ihr noch im selben Jahr gestattet wurde. Dieses unverwechselbare Warenzeichen ließ sie sich 1831 beim Rat der Gewerbeverständigen der Stadt Köln eintragen und richtete, solchermaßen gegen Nachahmungen gewappnet, in Bonn, Aachen und sogar im fernen Berlin erste Depots ein.
Aus „Klosterfrau“ ist ein modernes Unternehmen geworden, das heute in Köln und Berlin mit mehr als 530 Mitarbeitern eine Vielzahl von Produkten für die Gesundheit herstellt und vertreibt. Maria Clementine Martin hat nur die Anfänge dieser rasanten Entwicklung miterlebt, sie starb am 9. August 1843, betrauert von der ganzen Stadt, und wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Melaten-Friedhof beigesetzt. Zum Ruhm der Klosterfrau trug nicht unwesentlich bei, dass in den Folgejahren bis 1880 die Produkte auf Weltausstellungen in Düsseldorf, New York, Paris, London, Wien, Sydney und Melbourne prämiert wurden.
Ob sie jemals wieder nach Jever gekommen ist, darüber geben die Archive keine Auskunft. Ihr Vater aber, Schlosshauptmann Johann Heinrich Martin, blieb Zeit seines Lebens im Jeverland. Laut Kirchenbuch starb er im Jahre 1819 in einem Nebengebäude des Schlosses – hoch betagt mit 80 Jahren. Nach einer Anzeige im Jeverschen Wochenblatt regelte ein Feldwebel als Curator seinen Nachlass. Angehörige scheinen sich zu dieser Zeit nicht mehr in Jever aufgehalten zu haben. Seine Tochter Maria Clementine Martin war zu diesem Zeitpunkt – ausgestattet mit der königlichen Leibrente – im damals so fernen Rheinland schon auf dem Weg zu einer erfolgreichen Unternehmerin.
Der Beitrag erschien im Mai 2000 im Jeverschen Wochenblatt, Tageszeitung in Jever (Friesland)