Mein Tag als Kanzlerkorrespondent

Die Kanzlerin kommt. Natürlich muss man als Journalist dabei sein, wenn man die Gelegenheit dazu hat. Lässt dafür schweren Herzens sogar eine Familienfeier sausen. Und lernt, wie schön es doch eigentlich ist, Lokaljournalist zu sein und sich nicht mit den Großen dieser Welt herumplagen zu müssen.

Das fängt schon bei der Akkreditierung an. Während ich für einen Termin in meiner Heimatstadt allenfalls einen Terminkalender brauche, um ihn nicht zu vergessen, und ansonsten schnurstracks hin marschieren darf, ohne um Einlass zu bitten, muss ich mich für die 7. Maritime Konferenz in Wilhelmshaven Wochen vorher anmelden. Oder eher darum bewerben, denn die Presseabteilung des Landesministers für Wirtschaft und Verkehr geruht mir mitzuteilen, dass ich mich akkreditieren lassen kann, was aber noch keine Garantie dafür sei, auch zugelassen zu werden, wie ich dem Anschreiben entnehme.

Nun gut, man gibt also alle Daten preis, die der Verfassungsschutz oder wer sonst auch immer braucht, um zu prüfen, ob einer ein unzuverlässiger Kantonist und Bombenleger sein könnte, den man ausschließen müsste. Nach erstaunlich kurzer Zeit erfahre ich, dass man mir zutraut, mich in Gegenwart von Politikern und Wirtschaftsgrößen ordentlich zu verhalten, und dass man mich für wichtig genug hält, dabei zu sein. Das steht zwar nicht expressis verbis drin, aber so ist sie wohl gemeint, die Bestätigung, man sei nunmehr akkreditiert.

Damit der Journalist genau weiß, wie er sich zu benehmen hat, bekommt er wenige Tage vor dem großen Ereignis noch eine E-Mail, in der ihm nun dargelegt wird, dass er sich auf eine sorgfältige Personenkontrolle einzustellen habe und dass, wer elektronische Geräte mitbringe, sie vor den Augen der Sicherheitsbeamten einem Funktionstest werde unterziehen müssen. Nun ja, ich hatte nicht vor, nur mit Block und Bleistift anzurücken. Wer vor dem Augen der Großstadtpresse bestehen will, sollte schon Netbook und Diktiergerät dabei haben, als Fotograf mindestens eine teure Nikon samt Teleobjektiv in der Größe eines mittelalterlichen Kanonenrohrs. Lässt sich alles auftreiben. Im Alltag braucht man sowas ja eher nicht.

Mit dem Geschoss von Kamera darf man sich allerdings nicht überall aufbauen und einfach herum schießen, wie da im Verhaltenskodex zu lesen ist. Während des Besuchs der Kanzlerin würden die Fotografen in abgezäunten Bereichen gehalten, damit sie der Dame nicht zu nahe kämen, und wer sich Platz A ausgesucht habe, dürfe auch nicht einfach zu Platz B herüber marschieren, lerne ich. Man werde “geführt”. Viel vorstellen kann ich mir darunter nicht.

Der große Tag ist also da. Die Personenkontrolle nicht anders als man sie vom Flughafen gewohnt ist, immerhin ist das Personal freundlich und entspannt. Am Tresen hinter der Einlasskontrolle verpassen mir hübsche Hostessen ein Namensschild, das mich in der Menge der Kongressbesucher durch Farbgebung als Journalist ausweisen wird. Danach darf ich als solcher im Pressezelt Kaffee trinken und W-Lan ausprobieren und dann in der riesigen Lounge herumspazieren und ein wichtiges Gesicht machen. Nach geraumer Zeit geht’s los, nun reden im Kongresszelt die Redner ihre Reden.

Alles bleibt schön locker, bis die Kanzlerin wirklich kommt. Nicht gleich, aber bald, und deshalb werden die lustigen Reden nun unterbrochen und das 1000-köpfige Publikum eingenordet, den Platz in der nächsten Viertelstunde nicht mehr zu verlassen oder wenn die Pinkelpause unvermeidlich ist, wenigstens pünktlich um fünf vor elf wieder zurück zu sein, denn Schlag elf soll sie eintreffen, die Kanzlerin.

Gespannte Erwartung. Die Fotografen machen sich auf zu ihrem „Standort“. Zwei nett kostümierte Damen in marineblau rücken nun an, einen dicken, langen gelben Schiffstampen mit sich tragend. Den legen sie ungefähr drei bis vier Meter vor dem leeren Sitzplatz in der ersten Reihe aus, auf dem ein Pappschild mit der schnöden Aufschrift „Merkel“ liegt. Die Herren Fotografen hätten sich bitteschön schon mal jenseits des Tampens aufzubauen, teilen sie uns mit.

Schön hinter dem Limes bleiben. Fotograf Klaus Schreiber ist auch ein wenig amüsiert über die Sicherheitsvorkehrungen beim Kanzlerinnenbesuch. Bild: Burlager

Als nun – tätätä – die Tür zum Saal auffliegt und die ersten Sicherheitsleute mit schwarzen Anzügen und Knöpfen im Ohr flotten Schritts herein marschieren, ziehen die beiden Hostessen den Tampen stramm – das ist der Limes, den kein Fotograf zu überwinden sich trauen sollte, dann gäbe es Ärger mit den starken Jungs. Oder noch mehr Ärger mit der gestrengen Dame, die nun heranbraust und inspiziert, ob alle richtig stehen. Das wird wohl die persönliche Referentin sein oder so etwas wie eine Protokollchefin. Als Provinzjournalist kennt man sich ja nicht so aus. Jedenfalls sorgt sie dafür, dass wir in Reih und Glied stehen, und nun darf die Kanzlerin kommen.

Tätätätä, die Kanzlerin kommt. Beifall braust auf. Die Fotografen blitzen, was das Zeug hält. Bild: Burlager

Der Beifall braust auf, die Fotografen blitzen, was das Zeug hält, ich natürlich auch. Bis Frau Merkel sich setzt und die resolute Dame, die ich für ihre Referentin halte, mich plötzlich am Ärmel zieht und „Fertig!“ zischt. Fertig? Ich? „Fertig!“ sagt sie noch einmal, etwas lauter und schärfer, und da sehe ich, dass die anderen aufgehört haben zu knipsen. Ich will nach rechts drehen und zu meinem Platz gehen. „Da rum“, zischt sie ärgerlich, weist in die andere Richtung, und dann setzen die Fotografen sich im Gänsemarsch in Bewegung, die Damen mit dem gelben Tampen marschieren mit. Im Publikum lachen einige belustigt auf. Ich schäme mich ein bisschen.

Die Frau Merkel hat dann ganz nett gesprochen und ist sofort wieder los nach Berlin, nehme ich an. So hat sie von der Kürbissuppe und den Sandwiches nichts abbekommen, die es anschließend für die Kongressbesucher und für die Korrespondenten gab. Kriegt man ja auch nicht alle Tage. Es ist schon eine tolle Sache, für einen Vormittag Kanzlerkorrespondent zu sein. Morgen geht’s dann wieder in den Umweltausschuss des Kreistages. Da fällt mir ein: Ich hab’ mich noch gar nicht akkreditieren lassen…

hbu, 29. Mai 2011

P.S.: Heute mit Block und Bleistift in den Kreisumweltausschuss. Keine Einlasskontrollen, dafür aber auch keine schönen Hostessen, keine Kürbissuppe und keine Sandwiches, sondern ostfriesischen Tee und friesische Kekse, die Grundnahrung von Lokaljournalisten in Friesland …

P.P.S.: Mein schönstes Foto… (zum Vergrößern draufklicken!)

Das gelingt auch nicht alle Tage. Normalerweise hat auf einem Foto einer die Augen zu... Bild: Burlager

hbu / 30. Mai 2011

Hinterlasse einen Kommentar