Vom Brüllen und vom Schweigen

Heute Abend bin ich auf einer dieser spontanen Demos gewesen, die von den Veranstaltern als “Mahnwachen” angekündigt wurden. Ich war als Beobachter da. Etliche Menschen waren nach meinem Eindruck als Zuschauer da. Leute, die in der Vergangenheit sicher eine Meinung zur Atomkraft hatten, aber nie auf die Straße gegangen sind. Ganz junge Leute, ziemlich alte Leute, und neben den üblichen Verdächtigen auch ganz unverdächtige. Gekommen, um irgendwie teilzunehmen an weltweiter Solidarität mit Menschen, in deren Lage man jetzt nicht sein möchte. Um überhaupt irgendetwas zu tun in einer Situation, in der man eigentlich nichts tun kann als sprachlos vor dem Fernseher zu sitzen.

Mahnwache. Wer denkt da nicht an Menschen, die – eine Fackel in der Hand – stumm dastehen und allein durch ihre Anwesenheit für oder gegen eine Sache eintreten. Vielleicht ein paar wohlgesetzte Worte des Mitgefühls erwartend. Ein Gebet gar? Ansonsten Schweigen. Was bleibt einem angesichts der Bilder aus Japan, unter dem Eindruck dieser gewaltigen Katastrophe, auch anderes, als still zu sein und mitzufühlen. Und sich zu sorgen, wie es wohl weitergeht, dort und hier?

Es war ganz anders. Mit bunten Fahnen rückten sie an, mit gelb-schwarzen Totenkopf-Fässern, einem Rinderkopf aus Pappmaché, was immer sie damit ausdrücken wollten. Ein Megafon hatte der Cheforganisator dabei, und als er es einschaltete und loslegte, da was es vorbei mit der “Mahnwache”. Ohne auch nur eine kleine Gedenkminute für die Opfer der Katastrophe in Japan einzulegen, nur einen Halbsatz dem Leid der Menschen widmend, trötete er los, schrie seine Anti-Atom-Überzeugung fast heraus, was nicht allein am Megafon lag. Sätze aus dem Anfängerbaukasten des Funktionärs, ohne Empathie, ohne diejenigen mitzunehmen, die vielleicht erst in diesen Tagen zu der Überzeugung gelangt sind, dass die Menschheit auf dem Holzweg ist, und die nicht zu einer Kundgebung gehen wollten, sondern zu einer Mahnwache.

Wer überzeugen will, muss nicht laut sein. Und viel braucht es in diesen Tagen ohnehin nicht, andere zu überzeugen, dass es so nicht weitergeht in der Energiepolitik, in Deutschland, auf der Erde.

Ich habe später wieder vor dem Fernseher gesessen, habe Bilder aus Japan angeschaut. Bilder von Menschen, die allen Grund hätten, herumzubrüllen, Transparente zu schwenken, ihre Regierung zu beschimpfen, zu sagen, sie wären schon immer dagegen gewesen und hätten Recht behalten. Sie tun es nicht. Sie sind still. So still, wie man sein sollte, wenn über so viele Menschen so viel Leid hereingebrochen ist. Warum nur strahlen die Japaner so viel mehr Würde aus?

Helmut Burlager, 14.3.2011

Ein Kommentar zu „Vom Brüllen und vom Schweigen

Hinterlasse einen Kommentar