Wild Thing – Leben ohne Sicherheitsgurt

Kariona Kuffmann schrieb ein Buch über ihr wilden Zeiten in Ostfriesland und Berlin

Von Helmut Burlager

Wer in den Sechziger- und Siebzigerjahren als Jugendlicher in Ostfriesland aufwuchs, dem kommt das bekannt vor. Raus aus der Enge des Dorfes, weg von der Spießigkeit von Eltern und Nachbarschaft. Es lockten das Kino, der Tanzschuppen oder die Disko in der nächstgelegenen Kleinstadt oder irgendwo auf dem Fehn. Aber wie hinkommen? An die Straße stellen, Daumen raus, und irgendwie fand sich immer jemand, der einen mitnahm. Wenn du Glück hattest, war er oder sie nicht betrunken oder bekifft und fasste dir nicht ans Knie. Und meist ging es gut.

Buchcover „Wild Thing. Sex & Drugs & Rock ’n‘ Roll. Kariona Kuffmann als Jugendliche in Ostfriesland.

Weg von zu Hause, tauchten die jungen Leute in eine andere Welt ein, in der die Musik lauter, die Sitten lockerer, die Jungs langhaarig und cool und die Mädchen nicht so keusch und züchtig gekleidet waren, wie die Mütter und Väter es gern gesehen hätten. Und wenn die wirklich gewusst hätten, was der Nachwuchs da so treibt, wären sie wahrscheinlich eingeschritten.

Die Sechziger und Siebziger, das war für viele der damals jungen Leute ein Hauch von Wildheit und Abenteuerlust, sogar auf dem Lande. Aber natürlich auch Gefahr und Risiko – ein Leben ohne Sicherheitsgurt im wahren, aber auch im übertragenen Sinn des Wortes. High sein, frei sein, überall dabei sein, so hieß das Motto, und nicht für jeden und jede ging das gut aus.

„Wild Thing. Sex & Drugs & Rock ’n‘ Roll“ heißt das Buch, das die gebürtige Ostfriesin Kariona Kuffmann (ein Künstlername) jetzt veröffentlicht hat und in dem sie diese Zeit im Rückblick beschreibt. Es ist die Geschichte eines unangepassten Mädchens, das früh aus den Zwängen eines schwierigen Elternhauses ausbrach und zunächst in Ostfriesland, dann in Berlin die Freiheit suchte. Leute wie Otto Waalkes und Rollo Fuhrmann waren ihre Weggefährten, Musikschuppen wie „Meta’s“ in Norddeich und „Sound“ in Berlin ihr Wohnzimmer. Die Autorin erzählt von ihrer nicht ganz einfachen Kindheit, von Schule und Ausbildung, von Abenteuern in Cliquen und Discos, von ihrer Liebe zur Musik und dem Hang zu Drogen, immer auf der Suche nach der großen, wahren Liebe.

Nur geriet sie dabei, auch nachdem sie als 18-Jährige nach Berlin gegangen war, immer wieder an die Falschen. Männer zumeist von tollem Aussehen und weniger tollem Charakter. Der Weg führte Kariona, wie sie sich in Abwandlung ihres richtigen Vornamens nennt, durch interessante Jobs und seriöse Büros bis hinein in Striptease-Bars, wo sie tanzte und sich auszog. Und wieder zurück ins halbwegs bürgerliche Leben, durch Dutzende verschiedener Wohnungen und fast genauso viele Beziehungen, bis sie am Ende doch noch den Mann ihres Lebens fand, ohne dass daraus wirklich ein Happyend geworden wäre.

„Wenn ich heute auf meine wilden Jahre zurückschaue, in denen ich mich sehr oft unglücklich, einsam und verloren fühlte, dann tue ich dies ohne Reue, Zorn oder Bedauern – es war mein Weg und ich habe versucht, immer das Beste daraus zu machen“, zieht Kariona Kuffmann am Ende des Buches Bilanz.

Es ist ein sehr persönliches Buch, dem anzumerken ist, dass sie gerne schreibt, aber keine Schriftstellerin ist und dass ihr kein Lektor zur Hand ging. Sie erzählt frei von der Leber weg. Nicht jeder würde so viel Privates ungeschminkt in der Öffentlichkeit ausbreiten, aber auch das spiegelt Leben und Haltung der Autorin wider, denn sie ist zeitlebens eine Unangepasste geblieben.

Wer wie ich in Ostfriesland aufgewachsen ist, wird vor allem in den Kapiteln über eine Jugend auf dem Lande viel selbst Erlebtes und Erfahrenes wiederentdecken. Ein Buch zum Erinnern. Zu beziehen ist es unter kariona.de

Rebell im schwarzen Anzug

Umweltpolitik: Klimaaktivist und Fahrradlobbyist Heinrich Strößenreuther ist in die CDU eingetreten

Von Helmut Burlager

Wilhelmshaven – Fahrradlobbyist und Klimaaktivist, Gründer der Initiative German Zero und Erfinder der Falschparker-Melde-App Wegeheld, Initiator des Berliner Fahrrad-Volksentscheids und Chef des Vereins Changing Cities. Ein bundesweit bekannter Tausendsassa auf dem Gebiet erfolgreicher  Umweltkampagnen – welche Parteizugehörigkeit würde man bei einem solchen Mann wohl vermuten? Richtig!

(c) Heinrich Strößenreuther

Doch weit gefehlt, seit dem 17. März ist Heinrich Strößenreuther (53) Mitglied der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Und die ist mächtig stolz auf den Neuzugang, denn der gebürtige Wilhelmshavener, der in Berlin lebt und sich dem CDU-Ortsverband Alt-Tempelhof anschloss, gilt wahlweise als der „erfolgreichste deutsche Verkehrslobbyist“ (taz) oder „Verkehrsrebell im schwarzen Anzug“ (Die Zeit).

Das unerwartete Bekenntnis Strößenreuthers zu einer Partei, die sich bislang nicht so als Speerspitze der Klimabewegung hervorgetan hat, löste ein enormes Medienecho aus. Zeitungen vom Tagesspiegel bis zur Süddeutschen berichteten ausführlich, vielfach mit Spekulationen darüber, ob die Entscheidung des „Ober-Radlers“ ein Vorbote von Schwarz-Grün wenige Monate vor den Wahlen sein könnte. Manche sparen auch nicht mit Kritik. Die CDU wolle jetzt „die Grünen kopieren“, und CDU-Wähler hätten zurzeit andere Sorgen, als 2035 „klimaneutral“ zu sein, hieß es.

Für Heinrich Strößenreuther war es hingegen ein Wandel bei der CDU, der ihn zu der Entscheidung gebracht hat. „Das Bekenntnis von 29 CDU-Bundestagsabgeordneten zur Grünen Null war die Motivation, mich in der Union zu engagieren. In der Klimapolitik ist die Union aus CDU und CSU der entscheidende Hebel, um die 1,5-Grad-Klimapolitik voranzubringen. Es gibt in der Union längst starke klimapolitische Ambitionen“, äußerte er in einer Pressemitteilung. Er wolle die gesamte Partei für das Ziel der Klimaneutralität 2035 gewinnen. In einem Interview hat Strößenreuther zugleich Kritik an der rot-rot-grünen Regierung in Berlin geübt. Sie habe viel versprochen und wenig gehalten.

Ganz fern ist dem Klimaaktivisten die CDU nie gewesen. Heinrich Strößenreuther wuchs in Breddewarden bei Sengwarden auf. Er hat, wie er sich in einem Gespräch erinnert, als Jugendlicher bei Wind und Wetter das Jeversche Wochenblatt ausgetragen und ist bis heute ein großer Jever-Fan. Er stammt aus einer bürgerlich-konservativen Familie, in der schon in den 1970er-Jahren Müll getrennt und wenig Auto gefahren wurde. Seine Eltern waren nicht nur in der CDU, sondern auch sonst sehr engagiert, seine Mutter als Stadtelternratsvorsitzende und der Vater in Ehrenämtern. „Das hat mir immer imponiert“, erzählt er. Er selbst war in der evangelischen Jugend aktiv und während seines Studiums der Wirtschaftsinformatik in Mannheim Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Doch sein Weg führte in eine ganz andere Richtung. Seit Studententagen verband er persönliches Engagement in Sachen Klimaschutz mit seinen beruflichen Ambitionen und wechselte zwischen verschiedenen Rollen: Mitarbeiter des Bundestags, Vorstand eines Wirtschaftsforschungsinstituts, Campaigner für Ökosteuern bei Greenpeace, Projektmanager im Vorstand der Deutschen Bahn, Gründer eines Fernbusunternehmens, jetzt Berater, Interims-Manager, Inhaber der Agentur für clevere Städte, Buchautor und „Business Angel“. Womit nur ein kleiner Teil seiner vielen Aktivitäten genannt ist. Und ja, er war tatsächlich auch etliche Jahre Mitglied der Grünen.

Eine schillernde Persönlichkeit also, und in der CDU sicher ein Paradiesvogel. Man habe ein prominentes und spannendes Mitglied gewonnen, schrieb der Spitzenkandidat der Union für die Abgeordnetenhauswahl, Kai Wegner: „Herr Strößenreuther hat in Deutschland maßgeblich dazu beigetragen, den Diskurs zu den notwendigen Klimaschutz-Bemühungen ideologiefrei und wertebasiert zu verändern“. Diesen Weg will die CDU nun mitgehen. Ob es für beide Seiten ein Spaziergang wird, muss sich herausstellen.

(Der Beitrag erschien zuerst im Jeverschen Wochenblatt)