Canal du Midi

Idylle pur im Süden Frankreichs

Wasserstraße verbindet seit dem 17. Jahrhundert das Mittelmeer mit dem Atlantik

Von Brigitte Meiners

Das Tempo ist mehr als gemächlich: Die erlaubten acht Stundenkilometer ermöglichen dem Auge, alles in Ruhe zu erfassen, sich an der vorbeiziehenden Landschaft zu erfreuen, DSCI0107 die Lichtspiele der Sonne durch das dicke grüne Dach, das die Platanen über den Kanal spannen, zu beobachten. Am Canal du Midi, dem knapp 240 Kilometer langen Wasserweg in Südfrankreich, der das Mittelmeer mit dem Atlantik verbindet und von Sète nach Toulouse führt, können die Freizeitkapitäne auf den Sportbooten ihre Seele baumeln lassen. Was braucht es mehr zum Leben, als sinnig vor sich hinzutuckern, bei einem Glas Roten ein Päuschen an einem der vielen Liegeplätze einzulegen oder sich zur Eroberung der sehenswerten Städtchen aufzumachen, die den Canal du Midi säumen?

Idylle pur. Am Canal du Midi scheint die Zeit stehen geblieben zu sein,DSCI0085 zumindest aber gehen dort die Uhren langsamer. Das war allerdings nicht immer so. Im Gegenteil: Der Kanal dürfte im 17. Jahrhundert die größte Baustelle in Europa gewesen sein.  An die 12000 Arbeiter, darunter auch viele Frauen, gruben und schaufelten, hackten und befüllten Ochsenkarren, mit denen der Erdaushub beiseite geschafft wurde. Rund sieben Millionen Kubikmeter Boden mussten bewegt werden, um den Traum von einer Verbindung der beiden Meere in Südfrankreich wahr werden zu lassen.

Und wenn es nicht den genau vor 400 Jahren in Beziers DSCI0102 geborenen Pierre Paul Riquet gegeben hätte, dann wäre dieser Traum, den schon die antiken Römer hatten, vielleicht so nie in Erfüllung gegangen. Doch es gab Riquet, jenen Mann, der besessen war von einer Idee. Der Steuerprüfer wollte Schiffe quer durchs Land fahren lassen, durch einen Landstrich, der von der Sonne verwöhnt, für eine Wasserstraße aber möglicherweise zu wenig Wasser hatte. Doch nicht nur das: Ein Verbindungsweg zwischen Mittelmeer und Atlantik musste gut 190 Höhenmeter überwinden. Es war da ein Berg von Schwierigkeiten, der sich vor Riquet auftürmte.

Doch der Steuerbeamte, dem heute in vielen Städten des Languedoc ein Denkmal gesetzt ist und dessen 400. Geburtstag in diesem Sommer mit verschiedenen Schleusenfesten gefeiert wird, ließ nicht locker. DSCI0079 In langen Wanderungen erkundete er die Gegend, machte sich mit den natürlichen Gegebenheiten vertraut, tüftelte und berechnete und löste ein Problem nach dem nächsten. Am höchsten Kanalpunkt plante der Mann aus Beziers ein riesiges Staubecken als Wasserlieferant für den Kanal. Und auch für die Überwindung des Höhenunterschiedes präsentierte Riquet mit einer Vielzahl von ovalen Schleusen die Lösung. Diese boten zum einen den Schiffen genügend Platz, zum anderen hielten sie dem Wasserdruck besser stand als rechteckige. Auch vor tiefen Flusstälern machte der findige Südfranzose nicht Halt. Der Kanal wurde kurzerhand per Brücke über die Flüsse geführt. Und selbst Berge schienen dem Autodidakten in Sachen Ingenieurwesen und Geologie kein Problem. Bei Ensérune ersann er einen Aufsehen erregenden Tunnel durch die Erhebung. Der weltweit erste Kanaltunnel von Malpas hat eine Länge von 165 Metern.

Für die Verwirklichung seines Traums war Riquet bereit alles zu geben. Zwar hatte er niemand DSCI0070 Geringeres als den Sonnengott Ludwig XIV. bzw. dessen Finanzminister Colbert auf seine Seite ziehen können, doch die vom König und der Provinz bereitgestellten Finanzmittel reichten nicht aus, um das ehrgeizige Vorhaben zu realisieren. Riquet schoss sein nicht unbeträchtliches Privatvermögen in den Kanal, mit dessen Bau schließlich im Jahr 1667 begonnen werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt war Riquet für damalige Verhältnisse schon ein alter Mann. Und so sollte er die feierliche Eröffnung im Mai 1681 nicht mehr erleben. Der Vater des Kanals starb ein paar Monate zuvor vollkommen verschuldet.

Erst seine Erben verdienten mit dem Kanal: Der Handel auf der einzigartigen Wasserstraße mit seinen 65 Schleusen, 55 Aquädukten, weit über hundert Brücken und dem so besonderen Tunnel florierte, und die Einkünfte aus den Schleusen wanderte in den Geldbeutel der Riquet-Nachkommen.

Bis weit ins 19. Jahrhundert war der Canal du Midi  der wichtigste Handelsweg in Südfrankreich, dem erst dieDSCI0104 Eisenbahn das Wasser abgraben sollte. Außerdem wurde der Kanal nicht nur für den Warentransport genutzt, sondern die Schiffe, die von Pferden auf den beidseitigen Treidelwegen gezogen wurden, beförderten auch die Post und sogar Passagiere. Zwischen Sète und Toulouse gab es regelmäßig verkehrende Schnellboote. Vier Tage waren die Reisenden unterwegs – um einiges schneller und bequemer als in schlecht gefederten Kutschen auf holprigen Straßen.

Lange Jahre führte der Kanal dann ein Schattendasein. Erst Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts erlebte er mit der „Erfindung“ des Bootstourismus eine Renaissance. Die einstigen Treidelwege unter den mächtigen Plantanen werden heute von Radlern, Joggern, Spaziergängern oder Wanderern genutzt. Sie alle können Riquet dankbar sein: Er hatte nämlich die Schatten spendenden Bäume pflanzen lassen, um das Kanalbett in der gleißenden Sonne des Midi vorm Austrocknen zu bewahren und mit Hilfe der Wurzeln die Böschung zu befestigen.

Und so herrscht heute zumindest in den Sommermonaten geschäftiges Treiben rund um den Kanal. Das hätte sich Herr Riquet so bestimmt nicht träumen lassen, doch dürfte ihn dies wohl freuen. Genau wie die Tatsache, dass der Canal du Midi 1996 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde.

Einen sehr schönen TV-Beitrag über den Canal du Midi sendete am 26. Februar 2012 der Südwestdeutsche Rundfunk: Mediathek

2 Kommentare zu „Canal du Midi

Hinterlasse einen Kommentar