Weihnachten für alle

Jeder sollte die Freiheit haben, zu feiern oder nicht zu feiern.

„Ich wünsch’ dir ein schönes Weihnachtsfest“, sage ich zu dem jungen Mann, nachdem wir in der Kassenzone des Einkaufszentrums eine Weile geplaudert haben und uns nun verabschieden.

IMG_1393„Hmm …“, entgegnet er. „Danke. Wir feiern Weihnachten ja nicht.“ Ja, das war mir schon klar, denn der adrette, selbstbewusste Abiturient, der geradewegs auf ein Studium zusteuert, ist Muslim. Seine Eltern stammen aus dem Libanon. Durfte ich ihm trotzdem frohe Weihnachten wünschen? Hatte er mir nicht gerade erst erzählt, dass er abends zu einer Weihnachtsfeier mit seinen Freunden geht? „Ja, stimmt“, sagt er. „Ich habe sie sogar organisiert. Ich war diesmal dran.“ Er wünscht mir ebenfalls frohe Weihnachten und wir gehen unseres Weges.

Einige Tage später lese ich von der Schule in Lüneburg, die angeblich eine Weihnachtsfeier aus der regulären Schulzeit auf den Nachmittag verlegen musste, weil eine muslimische Schülerin Kritik am Singen christlicher Lieder geübt habe. Die sozialen Netzwerke und manche Medien machen eine Riesengeschichte daraus. In Wirklichkeit war es wohl etwas anders gewesen, die Schülerin hatte widersprochen, als eine Lehrkraft im Fachunterricht das Singen von Weihnachtsliedern ansetzen wollte. Sagt jedenfalls der Schulleiter.

War es klug von der Schülerin? Welcher Jugendliche im pubertierenden Alter ist schon klug? Und war es klug von der Lehrerin? Ich weiß es nicht.

„In Erziehung und Unterricht ist die Freiheit zum Bekennen religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zu achten und auf die Empfindungen Andersdenkender Rücksicht zu nehmen“, heißt es im niedersächsischen Schulgesetz. Besser hätte man es nicht ausdrücken können. Es gilt schließlich beides: Religionsausübung muss möglich sein. Schulen können davon nicht ausgenommen werden. Doch ist dabei auch auf diejenigen zu achten, die anderen Glaubens oder gar nicht religiös sind. Niemand soll mich hindern, christliche Lieder zu singen. Aber es soll mich auch niemand zwingen. Jeder muss selbst entscheiden können, ob er Weihnachten feiert und zur Weihnachtsfeier geht. Oder ob er das eine tut und das andere lässt. Und wir alle könnten bei dem Thema entspannter sein.

Wenige Tage vor dem Fest erzählt mir eine Bekannte jesidischen Glaubens, wie sehr sich die ganze Familie auf Weihnachten freut. Das Zimmer, in dem die Geschenke liegen, ist seit Tagen verschlossen, den Schlüssel nimmt sie immer mit, wenn sie aus dem Haus geht. Die Kinder seien so gespannt und so neugierig, sagt sie. Jesiden feiern übrigens kein Weihnachten. Eigentlich.

(Dieser Beitrag von Helmut Burlager erschien zuerst am 23. Dezember 2017 im Jeverschen Wochenblatt)