Kungelei bei Bier und Bismarck?

Politik im kleinen Kreis: Von Nähe und Distanz im Lokaljournalismus

Von Helmut Burlager

Zwei junge Männer im Jahre 1978. Politiker der eine, soeben als jüngster Abgeordneter in den Landtag eingezogen, zu Hause im Wahlkreis an der Nordsee bereits in der Funktion des Fraktionsvorsitzenden im Kreistag tätig, Ratsherr in seiner Heimatstadt. Er hat seine Karriere noch vor sich. Journalist der andere, soeben das Volontariat beendet, die erste Stelle als Jungredakteur angetreten. Er hat seine Karriere ebenfalls noch vor sich. Beide brauchen, um erfolgreich zu sein, Kontakte. Der eine lädt den anderen zum Skat ein, das Du ist schnell vereinbart, man ist ja noch jung und locker. Man trifft sich fortan regelmäßig zum Kartenspiel bei Bier und Bismarck.

Dieselben Männer 25 Jahre später. Regierungspräsident der eine, nach einer langen erfolgreichen Karriere als Landtagsabgeordneter, stellvertretender Vorsitzender der Landtagsfraktion und Anwärter auf ein Ministeramt sitzt er auf einem einflussreichen Posten als politischer Beamter in der Landesverwaltung. Redaktionsleiter der andere, er hat sich innerhalb seiner Redaktion vom Lokalreporter zum Chef hochgearbeitet. Keines der 25 Jahre ist vergangen, ohne dass der eine beruflich mit dem anderen zu tun hatte. Sie wohnen immer noch in derselben Stadt. Sie telefonieren, tauschen sich aus. Zum Skat treffen sie sich nicht mehr, keine Zeit. Aber das Du ist geblieben, außer in offiziellen Pressekonferenzen natürlich, dann wahren beide pro forma das Sie. Man will ja niemanden brüskieren…

Zu wenig Distanz? Natürlich ist das ein Thema, das dauernder kritischer Selbstreflexion bei den Journalisten bedarf. Zunächst einmal ist zu erklären, warum Politiker oft die Nähe von Journalisten suchen und umgekehrt. Nähe ist die Voraussetzung von Vertrauen wie auch für Kontrolle. Politiker wie Journalisten wollen beides, das Vertrauen des Gegenübers gewinnen, ihn aber auch in gewisser Weise unter Kontrolle behalten. Das Problem dabei: Unabhängigkeit – auch das ist ein Ideal beider Berufsgruppen – verträgt keine Kontrolle.

Und wie sieht die Praxis aus? Wer als Journalist die Wahrheit hinter den offiziellen Verlautbarungen der Parteien und Parlamente, der Fraktionen und Ortsvereine sucht, der muss „ran“ an die Politiker, muss Informationen herauskitzeln, die er oder sie nur dann bekommen wird, wenn eine Vertrauensbasis geschaffen ist. Das funktioniert in Berlin nicht anders als in Jever. Von Seiten des Journalisten: Du gibst mir Informationen, ich gebe dir das Gefühl, für dich berechenbar zu sein. Von Seiten des Politikers: Du behandelst mich fair, ich versorge dich mit dem, was du am dringendsten brauchst. Andererseits kommen Journalisten ohne Distanz nicht aus. Wenn die Freundschaft so weit geht, dass ich das Wort nicht mehr kritisieren, die Tat nicht mehr geißeln kann, ist etwas schief gegangen.

In der Volontärsausbildung empfehlen wir unseren jungen Leuten, die Balance zu versuchen. Wer niemals nach einer Ratssitzung ein Bier mit den Ratsmitgliedern trinkt, wer bei jedem Termin auf die Uhr schielt, wer sich vor jedem privaten Schwätzchen am Telefon drückt, wird kaum die notwendige Nähe zu Politikern und Verwaltungsleuten erreichen, die Voraussetzung ist, mal eine vertrauliche Information zu erhalten oder bestätigt zu bekommen. Wer allerdings glaubt, er müsse in jede Stammtisch- oder Geburtstagsrunde aufgenommen werden, sich mit jedem duzen oder gar in Parteien und Vereine eintreten, um das Optimum an Informationen zu erhalten, sieht sich später oft derart eingebunden und verstrickt, dass er von dem umfangreichen Insiderwissen, das er besitzt, aus lauter Rücksicht weniger veröffentlichen und verwenden kann als der kontaktscheue Kollege von der Konkurrenzzeitung, der 50 Kilometer entfernt wohnt, pünktlich Feierabend macht und zum Schrecken der Politiker alles in die Zeitung setzt, was er erfährt.

Was ich deutlich machen möchte: Es gibt keinen Königsweg. Es gibt nur ein paar Lebens- und Berufserfahrungen:

– Ein freundliches, offenes „Sie“ im Verhältnis zwischen Journalisten und Politikern ist oft mehr wert als ein einmal vereinbartes, nur noch zähneknirschend ausgesprochenes „Du“.

– Klarheit und Wahrheit im Umgang miteinander sind oberstes Gebot: Der Journalist sollte sein Gegenüber nicht im Zweifel darüber lassen, was er vorhat. Wer am Telefon Süßholz raspelt und am nächsten Tag in der Zeitung Gift versprüht, wird unglaubwürdig.

– Im Lokalen noch stärker als in anderen Ressorts gilt: Man sieht sich (mindestens) zweimal im Leben. Der Journalist sollte dem Politiker, dem Behördenchef, dem Polizeibeamten auch nach einem Kommentar noch in die Augen schauen können. Einen Menschen, auch wenn er relative oder absolute Person der Zeitgeschichte ist, der Häme der Mitmenschen auszusetzen, ihn in seiner Würde zu verletzen, seine Integrität anzuzweifeln, das ist im lokalen Umfeld im Zweifelsfall viel folgenschwerer als bei den „echten“ Prominenten.

Und schließlich: Wenn aus beruflichem Kontakt eine Freundschaft wird, wogegen nichts einzuwenden ist, dann sollte der Journalist seinem Gegenüber von Anfang an deutlich machen, dass es zu Situationen kommen kann, in denen Beruf vor Freundschaft geht. Kein Kommentar sollte mit Rücksicht auf den besten Freund ungeschrieben bleiben, kein Skandal unaufgedeckt.

Damals, Ende der 70er, etwa zeitgleich mit dem späteren Regierungspräsidenten, habe ich einen jungen Banker kennen gelernt, der ebenfalls Kontakte suchte, um Karriere zu machen. Er brachte es bis zum Bankdirektor. Ein gestandener Wirtschaftsboss, eine lokale Größe. Wir gehörten demselben Stammtisch an, gingen gemeinsam auf Reisen, besuchten zusammen Veranstaltungen. Ein echter Freund. Eines Tages wurde er vom Fleck weg verhaftet, der Vorwurf lautete auf Unterschlagung. Eine Kleinstadt-Sensation, heißer Stoff für eine Lokalzeitung. In der Redaktionskonferenz am nächsten Morgen war die große Frage: Wer schreibt darüber? Die Kollegen waren sich einig: Das ist brisant, das ist Chefsache.

Es war der Aufmacher, der mir in meiner beruflichen Laufbahn am schwersten gefallen ist. Meinen Freund traf ich am ersten Prozesstag wieder. Ich werde den Satz nicht vergessen, den er mir sagte: „Ich weiß, dass du das tun musstest.“

Der Beitrag wurde erstmals 2003 im Journalistik Journal des Instituts für Journalistik der Technischen Universität Dortmund veröffentlicht

Beitrag im Journalistik Journal (online)

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