Natürlich bekommt jeder Chefredakteur Anrufe von Politikern, die wegen eines Berichts oder eines Kommentars sauer sind. Sonst würden er und seine Leute ja was falsch machen. Wenn sich nie ein Politiker über die Zeitung aufregt, ist die Zeitung nicht kritisch und distanziert genug.
Chefredakteure gehen, wenn sie Charakter und Berufsethos haben, auf solche Beschwerdeanrufe nicht ein, sofern die Kollegen sauber recherchiert, die Betroffenen angehört und die Sachverhalte korrekt dargestellt haben. Gibt es begründete Beschwerden über einen Beitrag, dann wird der Verfasser befragt, werden die Fakten gegebenenfalls noch einmal geprüft, im ungünstigeren Fall muss mit einer Richtigstellung oder einer Entschuldigung reagiert werden. Das kommt vor.
Es kommt, allerdings sehr, sehr selten, auch vor, dass von einer Berichterstattung Betroffene im Vorfeld versuchen, einen unbequemen Beitrag zu verhindern. Ein Chefredakteur, der sich darauf einließe, ebenso ein Verlagsleiter oder Verleger, der dem nachgäbe, hätte komplett versagt. Ein Politiker, der so etwas versuchen würde, ebenfalls. Ein guter Politiker weiß das auch. Deshalb versuchen es auch nicht viele. In meiner mehr als 35-jährigen Laufbahn ist das noch nicht vorgekommen, und ich habe in meinem kollegialen Umfeld hier im Nordwesten selten davon gehört.
Was mich nun in diesen Tagen ärgert, ist neben der Causa Wulff vor allem die Art und Weise, wie große Medien darüber berichten. So sagte der stellvertretende Chefredakteur der „taz“, Rainer Metzger, in einem Interview mit dem Heute-Journal am Montag, 2. Januar 2012, über Wulff: „Worum geht es ihm eigentlich? Er denkt, er kann da einfach Einfluss ausüben, mit einem Telefonat bei einer so großen Zeitung. Das ist keine Lokalzeitung.“
Und ähnlich hat sich laut Deutschlandfunk eine bekannte Journalistin der Süddeutschen Zeitung geäußert: „’Die Symbiose zwischen Medien und Politikern sei enger geworden. Aber es sei außergewöhnlich, dass ein Bundespräsident sich so benimmt‘, sagt die SZ-Journalistin Franziska Augstein. Das kenne man von Lokalpolitikern und von wütenden Rumpelstilzchen wie dem französischen Präsidenten Sarkozy.“ Und so ähnlich argumentieren auch andere.
Nun hat man bei der taz und der Süddeutschen im besseren Falle Vorstellungen von der Arbeit bei einer Lokalzeitung, die sich nicht ganz mit der Realität decken. Im schlimmeren Fall ist es Arroganz. Es macht nämlich überhaupt keinen Unterschied, ob ein Lokalpolitiker oder ein Bundes-Promi versucht, missliebige Berichterstattung zu unterbinden, und es sollte genauso gleichgültig sein, ob er sich dabei an die Verlegerin der „Bild“ wendet oder an die einer kleinen Provinzzeitung. Denn Pressefreiheit unterscheidet nicht zwischen groß und klein, bedeutend oder unbedeutend. Und gute Journalisten und Verleger lassen sich nirgendwo in der Bundesrepublik einschüchtern, egal ob da der Bundespräsident anruft oder der Bürgermeister.
Helmut Burlager / 3. Januar 2012