Püttbier – das Fest des sauberen Trinkwassers

Von Helmut Burlager

Jever – Am Montag nach Heilige Drei Könige wird in der Stadt Jever ein außergewöhnliches Fest gefeiert: Püttbier. Es dreht sich nicht um Bier, sondern ums Wasser, denn es geht auf die mehr als 250 Jahre alte Tradition der jeverschen Brunnenordnung (auch “Püttordnung”) zurück. Ein frühes Lebensmittelgesetz im Grunde, denn mit der Verordnung wurde sichergestellt, dass die öffentlichen Wasserversorgungsstellen in der Kleinstadt jederzeit Wasser lieferten und von Unrat und Krankheitskeimen freigehalten wurden.

Wangerpütt
Die Püttacht Wangerstraße im Haus der Getreuen. Die historische Aufnahme zeigt, dass das Püttbier leicht karnevalistische Züge trägt.

In nachfolgendem Text geht Ingo Hashagen, Jevers früherer Stadtdirektor und ein Heimatkundler von Rang, auf Geschichte und Bedeutung des Püttbiers ein.Das “Püttbier” ist der Tag der Rechnungslegung der sogenannten Püttachten, zugleich wechselt in dieser Nacht das Amt des Püttmeisters vom alten auf den neuen Amtsinhaber. Das ist bis heute so, auch wenn die rund 20 noch existierenden oder in jüngerer Zeit neu gegründeten Püttachten ihre ursprüngliche Funktion verloren haben und das Fest nur noch der Traditions- und Nachbarschaftspflege dient.

Püttbier in Jever

Pütt
St. Annenpütt in Jever. Foto: Helmut Burlager

Wasser ist ein unentbehrliches Gut, das zum Leben dazugehört. Mit der Menschheitsgeschichte verbunden ist insbesondere die Suche nach sauberem Wasser. Dort, wo von den Bergen frisches Wasser floss, entnahm man es den Bächen. Wo es aber kein fließendes Wasser gab, wie in der Ebene, in den meisten Städten oder auf Burgen, war man auf Brunnen angewiesen, die oftmals viele Meter tief in die Erde getrieben werden mussten. So gibt es seit unvordenklichen Zeiten Brunnen, bei uns auch Pütten (lat. puteus ) genannt. Die technischen Möglichkeiten der letzten rund. 100 Jahre führten fast überall in Deutschland zur zentralen Wasserversorgung, indem das Wasser u.a. aus Tiefbohrungen gewonnen und zusätzlich noch aufbereitet wird. Jedenfalls haben wir bei uns heute eine 1-A-Wasserqualität.

Frühere Bedeutung der Brunnen

Auch in Jever und seiner Umgebung gab es frühzeitig Brunnen. So wurden u.a. durch den Archäologen H. Winkler zwei alte Brunnen aus dem 7./8. und 9. Jh. in Schakelhave ergraben(der jüngere bestand aus einer Eichenholz-Kastenkonstruktion).

Als Jever 1536 befestigt wurde und Stadtrechte erhielt, legte man auch in dem eng bebauten Stadtgebiet Pütten an. Für 1629 und 1781 sind in der Altstadt 13 Püttachten nachgewiesen. Später waren es für die Altstadt 16 und für die Vorstadt 8, heute gibt es über 30.

Die Pütten mussten nicht nur den Wasserbedarf für den Haushalt decken, sondern auch Gewerbetreibende, wie Bäcker und Schlachter, besonders aber die vielen kleinen Hausbrauereien (mit einem relativ hohen Wasserbedarf ) versorgen. Darüber hinaus musste im Brandfalle das Wasser aus allen zur Verfügung stehenden Wasserstellen (Brunnen, Gräben, Graften, Teiche, Hafenbecken) entnommen werden. Für den Soforteinsatz -heute das Tanklöschfahrzeug- hatten vor den Pütten Kupen (Holz-, Sandstein- oder Granitbehälter) zu stehen, die vom Frühjahr bis zum Herbst ständig mit Wasser gefüllt sein mussten. In den Hausfluren hingen die Ledereimer, um beim Feuereinsatz sofort „durch der Hände lange Kette“ (Schiller, „Glocke“) das Löschwasser zu befördern; seit 1701 gab es allerdings auch schon eine Feuerspritze, die von der Stadt angeschafft worden war – übrigens mit einem Zuschuss von Fürst Carl Wilhelm in Höhe von 50 Rt.

Schon vor der Püttordnung von 1756 bestanden für die Püttachten Feuerschutzvorschriften. Z.B. in der „Feuerordnung“ von 1718, erneuert 1745, war vorgeschrieben, dass bei den „publiquen Brunnen“ die Kupen auf Schlitten zu stehen hatten, um ggf. näher an die Brandstätte gezogen werden zu können. Entsprechend der Bedeutung waren drei große Kupen vom Rat angeschafft und bei den Brunnen am Rathaus, dem Alten Markt und der Wangerstraße stationiert; sie wurden auch von der Allgemeinheit unterhalten. Der Alte-Markt-Brunnen und die 13 Altstadtbrunnen trugen die Nummern 1-14 , und so wurden auch die Kupen nummeriert, um Verwechslungen im Brandfalle zu vermeiden.

Das alles ist mit Arbeit und Organisation verbunden. Die Brunnen kosten Geld, nicht nur beim Bau, sondern auch in der laufenden Unterhaltung. Die Kupen müssen bei Frost entleert oder ständig enteist werden, da sie sonst zerplatzen. Mancher mag den Ledereimer auch zweckentfremdet und dann nicht an Ort und Stelle gehabt haben. Schließlich müssen dann 10 – 25 Mitglieder , die meistens zu einer Püttacht gehörten, auch noch miteinander auskommen. Dazu gehörte die Rechnungslegung, die der eine oder andere „verschlurt“ haben mag.

Die Püttordnung für Jever von 1756

Jedenfalls Muss es größeren Zank und Streit in den Püttgenossenschaften gegeben haben, die Bürgermeister und Stadtrat veranlassten, am 9. Okt. 1756 eine Pütt-Verordnung herauszugeben, an die sich zukünftig jeder zu halten hatte. Der Text besteht aus 14 Kapiteln (abgedruckt im Hist.Kal.1956 S, 18 ff. und in der „Fries. Heimat“, Beilage Nr 6 zum JW v. 7.1.1956) und ist in der damaligen (umständlichen und fremwörterreichen) Sprache geschrieben. Daraus wird nachstehend das Wichtigste zitiert:

1. Alle bis dahin geltenden Vorschriften wurden aufgehoben.

2. Jährlich am Montag nach „Heyl. Dreikönig“ waren fortan ein oder zwei Brunnenmeister zu ‚ wählen, die „bey Strafe 3 Gulden Stadts-Brüche“ auf den tadellosen Zustand von Brunnen und Kupe zu achten hatten.

3. Jedes Mitglied war zur Amtsübernahme verpflichtet.

4. Der jeweils neue Brunnenmeister hatte seine Amtsübernahme bis zur nächsten sonnabendlichen Ratssitzung anzumelden.

5. Das Brunnenmeisteramt war entschädigungslos wahrzunehmen, ausgenommen bei Aufsicht über Haupt-Reparaturen, dann gab es eine „Erkenntlichkeit“.

6. Kosten hatte der Brunnenmeister vorzuschießen; bei größeren Summen durfte er jedoch sofort eine Umlage erheben.

7. Der jeweilige Brunnenmeister konnte die übrigen Mitglieder zu einfachen Arbeiten heranziehen (Kupen füllen, Eis „wegzuhacken“) oder „die Arbeit an andere auszudingen“.

8. Wenn jemand ein Haus kaufte oder erbte, dann musste er zur Aufnahme in die Püttacht 9 Schaaf (1/3 Reichstaler, vgl. Münztabelle Jev. Kal. 1789, S. 2o/21) bezahlen.

9. Am Montag nach dem 6. Januar war Rechnungslegung.

10. Nachmittag. um 2 Uhr sollten alle Interessenten zusammenkommen , die Rechnung prüfen und ggf. die Entlastung erteilen. Danach sollte sofort der neue Brunnenmeister sein Amt antreten.

11. Das Nichterscheinen eines Mitglieds war vorher mitzuteilen; die Beschlüsse galten auch für diese Person.

12. Ein Defizit bei der Rechnungslegung war sofort von allen Beteiligten auszugleichen

13. Die übermäßigen Bewirtungskosten bei solchen Zusammenkünften auf Kosten der Püttacht wurden verboten und auf 9 (höchstens 12) Schaaf begrenzt. Wer mehr ausgeben wollte, musste dieses selbst bezahlen.

14. Dort, wo ein Söker (Stange mit gebogener Eisenspitze) in Gebrauch war, sollte dieser weiterhin beibehalten und ggf. wieder neu angeschafft werden. (Anm.: Söker wurden auch gerne zum Abschütteln der Äpfel zweckentfremdet).

Unterzeichnet war die Püttordnung vom Bürgermeister und den Ratsherren A.B.Clasen, A.G. Frerichs,A.G.U. Manshold, E.Bleeker und L.H. Minshen, dazu kam noch das „Stadts-Insiegel“.

Das Püttbierfest

Durch die Festlegung des jährlichen Abrechnungstermins der Püttachten, verbunden mit der Neuwahl des jeweiligen Püttmeisters mussten die Nachbarschaften zwangsläufig zusammen-kommen. Daraus hat sich in Jever -im Gegensatz zu anderen Städten- eine Tradition entwickelt. Auch wenn die Bewirtung geringgehalten werden sollte, so machte man daraus doch ein Bierfest. Das hausgebraute Bier, mit der traditionellen Bierprobe auf dem Rathaus, war eines der wichtigsten Lebensmittel früherer Jahrhunderte, besonders in Zeiten, in denen Kaffee und Tee für die meisten Menschen zu teuer waren. In unserer Gegend kannte man das Kinnelbeer (Geburt), Tröstelbeer (Tod), Bauerbeer (Zusammenkunft der Bauerschaft, Selbstverwaltungseinrichtung der Dörfer), Fensterbeer (Neubau fensterdicht gemacht), Güstkinnelbeer (Branntwein mit Rosinen und Bier, wenn kein Kind geboren wurde) und eben auch das P ü t t b i e r . Das „Generalregister“ von 1781 besagt: „Es gab kein Haus, adlig oder bürgerlich, geistlich oder weltlich, das nicht zu einem gewissen Brunnen kontribuieren musste, in dem auch zur Zeit allgemeiner Noth gemeiner Hilfe bedarf“.

In früherer Zeit -und in manchen Püttachten ist dieses beibehalten worden- kamen nur die Hausmänner zusammen. Damals wurde den Frauen auch das Wahlrecht verweigert, kein Zugang zum Universitätsstudium gewährt usw., bis Helene Lange und andere den langen Prozess der Gleichberechtigung einleiteten. Insoweit waren die Püttachten eben auch ein Teil gesellschaftlicher Realität.

Wo Männer zusammenkamen, da würde früher auch heftig gezecht – und es wurden vaterländische und extra verfasste Püttbierlieder gesungen. In manchen Püttachten duzte man sich während der Zusammenkunft und -an Komik grenzend- sprach sich am nächsten Tag wieder mit „Sie“ an. Aber das ist eben Brauchtum, das nicht verändert werden sollte. Und jede Püttacht sollte es halten, wie es ihren Mitgliedern gefällt.

Die Brauerei baut eine Wasserleitung

Den größten Wasserbedarf hatte im 19. Jh. die heutige Brauerei (damals König, später Fetköter). Das Wasser holte man aus einer Pütte, wahrscheinlich die Kampütte, weil der Bedarf für das gesamte Schlossgrundstück, wie in den früheren Jahrhunderten erforderlich, nicht mehr gedeckt werden musste (vgl. Orth, „Die Straßen der Stadt Jever“ unter „Püttweg“). Dr. Blume berichtet in „15O J. Fries. Brauhaus“, S. 18 ff., dass 1870 das Püttwasser (wahrscheinlich Kamppütte) für ungenießbar erklärt wurde, weil es durch Abwässer verschmutzt war. Eine Bohrung auf Brauereigelände blieb 1880 erfolglos, aber dann fand man doch noch Grundwasser in einer Tiefe von 130 m. 10 Männer hatten täglich 65.000 Liter Wasser herauf zu pumpen. Eine zeitraubende und kostspielige Angelegenheit. 1887 fand man schließlich in Siebetshaus in 24 m Tiefe ausreichend gutes (weiches) Wasser, das zunächst mittels großer Tonnen auf Pferdewagen nach Jever transportiert wurde. Das war mühselig. Und so entschloss sich Fetköter im Jahre 1894 zum Bau einer 3,5 km langen Wasserleitung, an die auch eine Anzahl von Privathaushalten und Gewerbebetriebe in Jever angeschlossen wurden. Hier wurde also erstmalig kein Püttwasser mehr benötigt.

Die öffentliche Wasserleitung kommt

Durch Vermittlung des Oberfinanzpräs. Hillmer (wurde Ehrenbürger) konnte Jever 1929 den Anschluss mit einer öffentlichen Wasserleitung an das Reichswasserwerk in Feldhausen erreichen. Gegenüber den Pütten, deren Wasser immer durch äußere Einflüsse gefährdet war, konnte nunmehr gleichmäßig gutes Wasser im Sommer und Winter zur Verfügung gestellt werden.

Nun bestand für die Püttachten die Gefahr des Untergangs oder zumindest des Abgleitens in die Bedeutungslosigkeit. Aber da wirkte doch gegensätzlich die Tradition dieser einmaligen Nachbarschaftsfeiern. Da es sich nunmehr um private freiwillige Zusammenkünfte handelte, war auch die „Gleichschaltung“ im 3. Reich, in dem alle unkontrollierten Vereinsaktivitäten suspekt erschienen, nicht eingetreten.

Und wie gut dieses Festhalten an den alten Pütten und Püttachten war, erlebten die Bürgerinnen und Bürger Jevers ganz unfreiwillig im 2. Weltkrieg. Denn Anfang Januar 1941 wurde durch Bombenabwurf, wie wie Dr. Hans Suits 1956 in der Fr. Heimat v. 7.1.56 berichtet, die Hauptleitung des Wasserwerks getroffen. Man war wieder auf die Pütten (diese hatten nach Orth seit 1817 nach und nach Pumpen) oder auf private Hauspumpen (mit eigener Bohrung) angewiesen. „Wie lobte man da die alten Püttachten, die ihre Brunnen noch in Ordnung hatten“, schildert S.

Die Püttachten heute

Wie schon eingangs erwähnt, wurde in ganzseitigen Berichten des JW das 200-jährige Jubiläum der Brunnenordnung von 1756 besonders gewürdigt. 1956 konnte man noch nicht unbedingt die weitere Entwicklung der Püttachten vorhersehen. Die Nachkriegsmobilisierung in Deutschland nahm ungeahnte Ausmaße an. Familien werden kleiner. In manchen Häusern wohnt nur noch eine Person. In Großstädten vereinsamen die Menschen und kennen oftmals nicht ihre Nachbarn auf derselben Etage.

In Jever blieb das Traditionsfest am Montag nach Hl. Drei Könige nicht nur erhalten. Es wurde 1957 vom Jeverl. Altertums- und Heimatverein ein ganzes Heft über Püttnachbarn und Püttbier (Verf. Dr. H. Suits) herausgegeben. Zum 225-jährigen Jubiläum im Jahre 1981 verfasste Heinrich Wille ein Liederbuch (Verlag Mettcker) für die damals bestehenden 30 Püttachten. Inzwischen sind weitere dazugekommen. In Zeiten der Globalisierung besteht gleichzeitig ein Bedürfnis des Menschen, alte Traditionen zu erhalten oder auch wieder aufleben zu lassen. Und gute Nachbarschaft ist allezeit wichtig, sei es bei Schneekatastrophen, bei der Annahme von Postpaketen, bei Hilfeleistungen aller Art, besonders in Notfällen. Wie heißt doch der plattdeutsche Spruch: „Een goden Naber an de Wand is bäter as een Broer in`t fremde Land!“

Wenn es die Püttachten in Jever nicht gäbe, man müsste sie erfinden!

So müssen wir heute dankbar sein, dass der Bürgermeister und Magistrat uns 1756 die Brunnenordnung mit einem festen (heutigen) „Feiertermin“ gegeben haben. Die Püttachts-Mitglieder hätten sich aber sicherlich nicht auf ihrem ersten gemeinsamen Sitzungstermin am 10 Januar 1757 träumen lassen, dass aus der damaligen (noch) Pflichtveranstaltung ein ureigenes jeversches Fest werden würde. Diese Tradition wird auch in den nächsten 50 Jahren nicht untergehen. Und noch eines sei erwähnt: Es gehört zum städtischen Selbstbewusstsein dazu , dass man Brunnen optisch ansprechend gestaltet oder auch neu errichtet, wie dieses in Jever in den letzten Jahren geschehen ist. Mit dem Sagenbrunnen, der Wasserträgerin, dem Kiebitz-, dem Kosakenbrunnen und dem Wiederaufbau der Kirchenpütt oder der Erneuerung und

Verschönerung anderer Pütten ist Jever nunmehr auch sichtbar die Stadt der Brunnen und Püttachten geworden und darf sich zu Recht „Stadt der Kunst …“ nennen. Natürlich gibt es in Deutschland noch weit größere und berühmtere Brunnen. Aber gibt es auch solch kleine Püttachten, wie unsere, in denen Menschen unbeschwert zusammenkommen und Nachbarschaft pflegen?

3 Kommentare zu „Püttbier – das Fest des sauberen Trinkwassers

  1. Mein Grossvater Arend Lampe, Konditorei und Café 10,Neue Strasse war dreimal in seinem Leben Püttmeister für den Kattrepel; wo kann ich genaue Auskunft darüber finden? Danke Für eine Antwort

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