Der Papst, der Rücktritt, der Tod und ich

Von Helmut Burlager

Ich persönlich finde es ja sympathisch, wenn ein Papst zurücktritt statt zu sterben. Obwohl mir der Tod von Päpsten beruflich mehr Vorteile verschafft hat, als es ein Rücktritt je könnte. So ein Rücktritt wie der von unserem Papst Benedikt ist schnell in der Welt, vom Vatikan bekanntgegeben, von den Agenturen verkündet, von Millionen per Twitter und Facebook kommentiert, noch bevor der Papst sich zum Mittagsschlaf gelegt hat. Keine Chance auf Exklusivität.

Das war 1978 ganz anders, als ich Jungredakteur beim Jeverschen Wochenblatt war, einer Tageszeitung, die damals noch mittags erschien. Redaktionsschluss war gegen zwölf Uhr, und da die beiden Mitbewerber als Morgenblätter herauskamen, eröffnete die ungewöhnliche Andruckzeit die Möglichkeit, aktuelle Ereignisse aus der Nacht und vom Morgen exklusiv und blitzschnell zu drucken.

Zu den Aufgaben des jüngsten Redakteurs gehörte es, den dpa-Ticker abzureißen, also die Endlosfahne von aktuellen Nachrichten in handliche Stücke zu zerschnippeln und dem Chefredakteur vorzulegen. Am 6. August 1978 stand ich also, den Schlaf noch in den Augen, früh morgens am Fernschreiber und hörte plötzlich die Alarmklingel für Eilmeldungen schellen. Die Schriftfarbe des Nachrichtenstranges wechselte von schwarz auf rot, und die Agentur meldete, der Papst sei gestorben. Mittags konnten unser Blatt exklusiv und mit einem Archivbild verkünden, dass Paul der Sechste das Zeitliche gesegnet habe. Die Welt war erschüttert, Jevers katholischer Pastor samt seiner Schäfchen tief traurig, wir aber freuten uns über den Scoop.

Es war nur wenige Wochen später, wieder früh morgens, wieder Dienst am Ticker, der einschläfernd vor sich hin ratterte, als erneut die Alarmglocke klingelte. „Eil + Eil + Eil + Papst Johannes Paul I. gestorben“. Nun funktionierten Fernschreiber damals so, dass Meldungen auf Lochstreifen geschrieben wurden, die Lochstreifen wurden in einen Lochstreifenleser gelegt, der aus der Abfolge gestanzter Löcher elektrische Signale machte und sie an die Fernschreiber auf der anderen Seite der Leitung schickte. Da konnte schon mal vorkommen, dass ein ebenfalls müder Agenturjournalist den falschen Lochstreifen griff und veraltete Nachrichten verbreitete. Meist folgte kurz darauf ein Rückruf. Der erste Verdacht bei dieser unwahrscheinlichen Meldung lautete also: Versehen bei der Agentur. Der zweite Impuls war, das Radio einzuschalten und Nachrichten zu hören. Der dritte Gedanke: Wenn das stimmt, wo kriegen wir ein Foto her? Der Papst war so frisch im Amt, dass das Archiv der Lokalzeitung überhaupt nichts hergab.

Die Agentur bestätigte den Tod des 33-Tage-Papstes nach wenigen Minuten, die Recherche für einen schnell geschriebenen Nachruf war kein Problem – wir hatten ja gerade erst über die Wahl und Amtseinführung des neuen Papstes berichtet. Aber das Foto…

Gegen 8 Uhr morgens traute ich mich, beim örtlichen katholischen Pfarrer anzurufen. „Herr Pastor Westendorf, Sie haben sicher schon gehört, dass der Papst gestorben ist …“. Der Pfarrer reagierte etwas unwirsch auf die morgendliche Störung. „Das ist sechs Wochen her, und da rufen Sie mich jetzt an?“ „Nein, Herr Westendorf, es tut mir Leid, es geht nicht um den alten, Papst, der neue ist heute Nacht gestorben.“ Man hätte die Todesnachricht zugegebenermaßen gefühlvoller überbringen können. Eine halbe Stunde später fand ich im Pfarrhaus einen am Boden zerstörten Priester vor, der aber in der Zwischenzeit eine katholische Zeitschrift herausgesucht hatte, deren Titelbild den neuen, nun auch schon wieder toten Papst zeigte. Dankbar nahm ich das Heft an mich, hastete damit ins Verlagshaus, die Treppe hinauf in die Setzerei, wo der Techniker das Bild auf den Klischografen spannte, um eine Druckvorlage herzustellen. Mittags meldete das Wochenblatt exklusiv den Tod des Papstes. Twitter und Facebook gab’s noch nicht. Dafür gibt’s heute keine Mittagszeitungen mehr.

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