Tag 294 | Wahlen

Politisch steht uns in Niedersachsen ein relativ entspanntes Jahr bevor. 2015 wird es in unserem Bundesland keine Wahlen geben, und überhaupt ist wenig los. Bürgerschaftswahl in Hamburg am 15. Februar und Bürgerschaftswahl in Bremen am 10. Mai, das war’s dann auch schon.

Niedersachsen ist 2016 wieder dran, im Herbst. In genau zwei Jahren werden bei den Kommunalwahlen die Stadt- und Gemeinderäte und die Kreistage neu gewählt. Von da an ist erstmal wieder jedes Jahr ein Wahljahr: Herbst 2017 Bundestagswahl, Winter 2018 Landtagswahl, 2019 Europawahl. Und was auch schon feststeht: 2021 sind in ganz Niedersachsen gleichzeitig mit der übernächsten Kommunalwahl die Bürgermeister-, Oberbürgermeister- und Landratswahlen.

Tag 185 | Politjargon

Eine ostfriesische Zeitung hat von Gerüchten berichtet, der Europaabgeordnete Matthias Groote (SPD) überlege, in zwei Jahren für das Amt des Landrats im Kreis Leer zu kandidieren, wenn Amtsinhaber Bernhard Bramlage in Ruhestand geht. Wo Rauch ist, ist auch Feuer, denke ich, und frage heute Mittag einfach mal bei der SPD-Bezirksvorsitzenden Johanne Modder nach, die eine Pressekonferenz in Wilhelmshaven gibt. Ob denn an der Meldung was dran sei…

„Das ist reine Spekulation“, antwortet sie. Von Politiker-Sprech ins Deutsche übersetzt, klingt das fast wie eine Bestätigung.

Tag 144 | Tut es!

Der Wahl-o-Mat hat mich auch nicht schlauer gemacht, welche Partei ich an diesem Sonntag wählen soll. Hohe Übereinstimmung mit CDU, SPD, Grünen und FDP. Ist das schlecht? Natürlich nicht, zeigt es doch nur, dass alle diese Parteien, in Nuancen verschieden, zum Projekt Europa stehen. Heißt das, dass ich gar nicht mehr wählen muss? Natürlich auch nicht, denn wenn ich nicht gehe, die Antieuropäer tun es gewiss. Ich werde also am Morgen meine kleine Radtour zum Wahllokal unternehmen und das Kreuzchen machen. An welcher Stelle, das ist fast, egal, jedenfalls ziemlich weit oben. Freunde, rafft Euch auf. Tut es auch!

Ach, übrigens …

… heute in sechs Monaten, auf den Tag genau …

EU-Parlament in Straßburg. Foto©: Helmut Burlager
EU-Parlament in Straßburg. Foto©: Helmut Burlager

… ist die Europawahl. Die Menschen in 28 europäischen Staaten wählen die 751 Mitglieder des Europaparlaments. Die Deutschen wählen am 25. Mai. Das EU-Parlament ist nicht nur die einzige direkt gewählte supranationale Institution weltweit, sondern auch eines der mächtigsten Parlamente überhaut. Es beschließt Gesetze, die für alle 28 Mitgliedsstaaten gültig sind, und über einen Haushalt von 141,5 Milliarden Euro im Jahr. Das Foto zeigt den Innenhof des Europäischen Parlaments in Straßburg. Das Parlament tagt abwechselnd in der französischen Stadt und im belgischen Brüssel.

Als Kind im Land des Erbfeinds

Zu den Dingen, die mir aus meiner frühesten Kindheit in Erinnerung geblieben sind, gehört das alte Nordmende-Röhrenradio meines Großvaters, das auf einem Bord über seinem Lehnstuhl stand. Er saß dort mit dem Ohr am Lautsprecher und der Hand am rechten Drehknopf, auf der Suche nach Kurz-, Mittel- und Langwellenstationen. Und dann lauschte er den rauschenden und knisternden Sendern.
Sobald ich lesen konnte, studierte ich die fremdartig klingenden Namen der Städte, die auf der von hinten beleuchteten Skala aufgeführt waren, Beromünster, Hilversum, Bruxelles, Dunkerque. „Dünkirchen“, sagte mein Großvater, „das ist Dünkirchen, das ist weit weg, in Frankreich.“ Er war im Krieg dort gewesen.
Der erste Ausländer, den ich näher kennenlernte und der mein Jugendfreund wurde, hieß Jean-Marie, er kam aus Dünkirchen. Wir waren dreizehn oder vierzehn, er war wie ich Eisenbahnerkind aus einfachen Verhältnissen, er sprach anfangs so schlecht Deutsch wie ich Französisch, und wir trafen uns auf einer internationalen Jugendfreizeit des Bundesbahnsozialwerks. Eisenbahnerkinder durften damals umsonst durch Europa fahren, und so haben wir uns ein paar Jahre lang Sommer für Sommer gegenseitig besucht. Aus dem armseligen Ostfriesland der sechziger Jahre kam ich also mit dem Zug ins noch armseligere Nordfrankreich, die Familie von Jean-Marie nahm mich freundlich auf. Sie gaben mir Miesmuscheln zu essen und Artischocken, ich durfte Roséwein trinken und am Pastis nippen, der nach Lakritz schmeckte. Es war herrlich.
Merkwürdig waren nur die Ausflugsziele. Sie fuhren mit mir an die Küste und
zeigten mir, wo die Alliierten gelandet waren. Zur Gedenkstätte für die gefallenen
Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Trafen wir unterwegs oder in der Stadt Bekannte der Familie, so sprachen sie über mich, den kleinen „Boche“. Ich begriff nicht viel, nur dies: Sie strichen mir übers Haar und staunten, dass so ein kleiner, blonder und unschuldig dreinblickender „Allemand“ sich nach Nordfrankreich traute. Und dass er so vollkommen ungefährlich aussah.
Abends, zu Hause, erzählte der Vater voller Stolz heroische Geschichten von
Krieg und Widerstand. Jean-Marie verdrehte die Augen. Wenn wir seine Freunde trafen, sprachen wir nicht über Krieg, sondern über Musik und Comics und die Unterschiede zwischen französischen und deutschen Mädchen. Soweit wir diese schon beurteilen konnten.
Jean-Marie habe ich später aus den Augen verloren, selbst das Internet hat uns
nicht wieder zusammengebracht. Was geblieben ist, ist meine Zuneigung zu einem Land, von dem man meinem Großvater noch erzählt hat, dort lebe der „Erbfeind“, gegen den er ins Feld ziehen müsse. Wenn ich in ein paar Wochen wieder hinfahre, fahre ich zu Freunden.

Der Beitrag erschien im Juni 2009 im Rahmen einer Serie “Mein Europa” im Jeverschen Wochenblatt (Friesisches Tageblatt)