Gastronom Broder Drees gestorben / 1989 eröffnete er die Kneipe „Tschaika“ in Leningrad
Von Theo Kruse
Jever/St. Petersburg. Die Nachricht ruft Erinnerungen wach: Der Wirt des Bierlokal „Tschaika“, Broder Drees, ist am 9. Mai im Alter von 78 Jahren in Hamburg-Altona gestorben. Er brachte 1989 das Jever Pilsener hinter den Eisernen Vorhang und schrieb damit Gastronomie-Geschichte. Vor 36 Jahren ein abenteuerliches Unterfangen .

Foto: Barbara Koch – aus Wikipedia. https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
Gemeinsam mit seinem Kompagnon Peter Wolf und der Bavaria- und St. Pauli-Brauerei aus Hamburg, damals „Mutter“ des Friesischen Brauhauses, sowie der Stadtverwaltung Leningrad gründete der Nordfriese Drees das erste deutsch-russische Gemeinschaftsunternehmen, ein Joint-Venture. Es waren die Zeiten von Glasnost und Perestroika. Michail Gorbatschow versuchte, das mächtige Sowjetreich zu öffnen und umzugestalten. Der Kalte Krieg schien ein für allemal beendet. Broder Drees, Sohn eines Tierarztes aus Bredstedt in Schleswig Holstein, hatte schon den Großneumarkt mit neuem gastronomischem Leben erfüllt und damit nach Hamburger Ansicht das ganze Viertel gerettet.
Die Einrichtung der typisch norddeutschen Bierkneipe wurde auf dem Seeweg nach Leningrad gebracht – so hieß damals die heute wieder St. Petersburg genannte Metropole an der Newa. Zu den Merkwürdigkeiten des Umbaues am Gribojedow-Kanal Nr. 17 im Stadtzentrum zählte die Tatsache, dass einige hundert Kilometer Kupferkabel in Hamburg auf den Weg gebracht worden waren, aber in der Kneipe selbst nur wenige hundert Meter verlegt worden waren.
Die Eröffnung ließ sich die Hamburger Mutter des Friesischen Brauhauses einiges kosten. Per Flugzeug erreichte die Delegation aus Jever die Stadt Peter des Großen mit ihren prachtvollen sakralen und aristokratischen Bauten. Allein für die Eremitage hätte man Monate benötigt, um alle Kunstwerke zu bewundern. Aber es ging natürlich nicht um das Zarengold, sondern um das jeversche Gold. Zusammen mit norddeutschen Spezialitäten und Köstlichkeiten aus der russischen Küche konnte man es sich in der „Tschaika“ (russisch Möwe) recht gut gehen lassen. Sowjetbürger durften in den ersten Jahren nicht hinein, denn es wurden nur Devisen akzeptiert, nicht der heimische Rubel. „Tschaika“ wurde schnell zum Treffpunkt internationaler Gäste der Stadt an der Newa; vor allem die Finnen rauschten schnell mal mit Tragflächenbooten über den Meerbusen, um sich am Jever-Pilsener zu laben.
Nach der Rückkehr nach Hamburg gründete Broder Drees eine Reederei, die weltweit Seebestattungen anbot. Ein Schwerpunkt waren Urnenbeisetzungen in der Ostsee. Der Tausendsassa entwickelte zusammen mit dem Hamburger Konditormeister Walter Schmidt eine Urne aus Brotteig, die sowohl für See- als auch für Erdbestattung geeignet ist. Für seine Verdienste um die deutsch-russischen Verständigung erhielt Drees die Ehrendoktorwürde einer russischen Universität. „In seinen Kneipen am Hamburger Großneumarkt und St. Petersburg war er Gastgeber für Besucher aus aller Welt“, schreibt seine Tochter Heike Deutschmann in der Traueranzeige.
Das zarte Pflänzchen der deutschen-russischen Freundschaft ist spätestens seit dem Ukraine-Krieg zerstört. In Jever indes feierte man vom 6. bis 8. Oktober 1989 die „Deutsch-russische Woche“ unter Beteiligung des sowjetischen Botschafters, nachdem im August desselben Jahres auf dem Roten Platz in Moskau „Jever-Wochen“ für Furore gesorgt hatte. Von 1793 bis 1807 stand das Jeverland tatsächlich unter der Herrschaft der russischen Zarin Katharina der Großen; sie stammte aus dem Hause Anhalt-Zerbst. Doch wer will heute noch etwas von Russland wissen?
